Chroniken » Chroniken VI. - Die Zeit der Toten: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2009
2009.07.18 - Lucarien: Love me when I´m gone
24.07.2009 - 01:19

Love me when I´m gone – Was war das bitteschön für eine dumme Liedzeile. Jemanden lieben, wenn er weg war? Das machte für sie wenig Sinn. Überhaupt schien nur wenig im Moment einen Sinn zu machen.

I´m alive but I´m alone – Sie wusste, dass sie nicht wirklich allein war, aber dennoch fühlte sie sich oft so. So viele Seelen waren um sie herum, doch es fühlte sich dennoch nicht als ob sie zu Hause wäre.

Maybe I´m just blind – Ja das hielt sie für durchaus möglich. Auch wenn es weh tat, sie musste sich der Ereignisse der letzten Wochen und sogar Monate bewusst werden, denn es war gut möglich, dass sie etwas Wichtiges übersah. Das Ableben von AiDo war der einzige Verlust, der nicht tausende von Fragen nach sich gezogen hatte. Er hatte sich gerichtet, da er sich nicht mehr dazu in der Lage sah seinen Eid zu erfüllen. Dennoch erfüllte sie sein Tod mit Trauer.

In Ordnung, weiter zu Philippe. Noch immer war ihr nicht klar, ob es ein Segen oder ein Fluch war, dass sie bei seinem Tod nicht dabei gewesen war. Noch immer fehlten ihr wichtige Anhaltspunkte, wer nun tatsächlich hinter dem Mord steckte. Alles, was Johannes wusste, hatte er nun mit sich ins Grab genommen. Inzwischen war die Hoffnung trauriger Gewissheit gewichen, dass auch Cara nicht mehr war. Die genauen Umstände ihres Todes gaben ihr genauso ein Rätsel auf wie der Tod Philippes.

Ihre Gedanken wanderten weiter zu Johannes. In seinen Sachen hatte sie ein Fläschchen mit einer Flüssigkeit, die Übelkeit und Durchfall erzeugt, gefunden. Sie war also nicht einfach so krank geworden oder hatte sich den Magen verdorben, sondern Johannes hatte absichtlich dafür gesorgt, dass es ihr schlecht ging, damit sie ihn nicht auf der Suche nach Cara begleiten konnte. Wahrscheinlich tat er es um sie zu schützen. Er hatte immer gesagt, dass ihr Leben wertvoller als seines war, auch wenn sie das jedes mal abgetan hatte. Jetzt, wo sie zum ersten mal genauer darüber nachdachte, hielt sie es für nicht unwahrscheinlich, dass Johannes Angst vor einer Falle oder etwas Ähnlichem hatte. Er wollte sie nur beschützen, auch wenn er dafür in Kauf nehmen musste, dass es ihr schlecht gehen würde, aber was war ein bisschen Übelkeit gegen das Geschenk des Lebens? Es schien immer wahrscheinlicher, dass Johannes ihr damit das Leben gerettet hatte. Aber von dem Sandsturm hatte er nicht wissen können, oder vielleicht doch? Die Lösung scheint so nah und doch so weit, zu weit.

I wish the ocean was warm – Ja, sie wünschte sich tatsächlich, dass das Meer warm wäre, dass sie sich einfach mal treiben lassen konnte, doch es schien kalt und vom Sturm gepeitscht zu sein. Vor ihrem geistigen Auge entstand das Bild einer steil abfallenden Klippe, darunter die dunkelblaue See. Die Wellen schlugen hart gegen die Brandung und die Gischt spritzte hoch. Gedankenverloren nickte sie sich selbst im Spiegel bestätigend zu. Ja, die stürmische See war eine gute Metapher für das, was sie im Augenblick empfand. Das Meer bot ihr so viele Möglichkeiten es als Metapher zu verwenden. Seit sie denken konnte, hatte sie sich am Wasser stets wohl gefühlt. An der See war ihr schon früh klar geworden, dass sie nur ein kleiner Teil eines großen Ganzen war. Manche nannten es Schicksal, im Grunde war es jedoch unwichtig, wie man es nannte, wichtig war, dass man begriff, dass man gleichzeitig frei und gefangen war. Niemand hatte sie gefragt, ob sie leben wollte, niemand würde sie fragen, ob sie sterben will und genau deswegen war es wichtig, dass sie selbst entschied, wie sie leben wollte.

I feel like drowning – Oh, ja das war genau das Wort, das sie gesucht hatte. Ihr kam es vor, dass sie schon seit einiger Zeit panisch strampelte und dennoch drohte zu ertrinken. Von allen Seiten her kamen die Wellen auf sie zugerollt, aber noch hatte sie nicht aufgegeben. Sie versuchte sich einzureden, dass dies der letzte Marsch durch das finstere Tal war, die letzten paar Schritte, die Freiheit nah, doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würde es nicht so einfach werden. Sie versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, doch der Raum dafür schien ihr zu klein. Von neuem geriet sie ins Wanken und musste sich an der Tischplatte festhalten. Jetzt wurde ihr schon im Sitzen schwindelig.

I´m a million miles from you – Nein, das stimmte nicht. Sie würde niemals so weit weg von den Personen sein, die sie liebte. Diese würden immer einen Platz in ihrem Herzen tragen, immer ganz dicht bei ihr sein.

An innocent child with a thorne in his heart – Sie war zwar kein unschuldiges Kind mehr, aber das Gefühl einen Dorn im Herzen zu haben, hatte sie trotzdem. Immer, wenn sie an die Menschen dachte, die sie liebte, wurde sie von dem Dorn gestochen. Immer größer wurde die Angst, die sie um die Personen hatte, die ihr etwas bedeuteten. Auf der einen Seite sehnte sich sich wahnsinnig nach Gesellschaft, aber auf der anderen Seite fürchtete sie jemanden unnötig in Gefahr zu bringen. Dabei verlor sie die vielleicht drohende Gefahr für sich selbst völlig aus den Augen. Diese war irrelevant. Entscheidender war wie viele Verluste sie noch würde ertragen könne, ertragen müssen? Womöglich war es ihre Schuld, dass ihre Eltern tot waren, dass Philippe gestorben war, dass Cara veschleppt wurde, dass Johannes verunglückte. Vielleicht war sie nur zu blind die Wahrheit zu erkennen. Immer wieder stellte sie sich die Frage warum, sodass sie zu überlegen begann, ob warum nicht egal war. Aus Sekunden wurden Stunden, aber sie konnte die Zeit nicht einfach zurückdrehen.

Frag nicht nach morgen, denn er bleibt dir verborgen. Frag nicht, was gestern war – Konnte das der richtige Weg sein? Ein Hinweis darauf, dass sie im hier und jetzt leben sollte? Ein Wink mit dem Zaunpfahl sich auf den Tag zu konzentrieren? Das hier und jetzt hieß Präsens, weil es ein Präsent, ein Geschenk war, hatte sie mal gehört.

(Persönliche Gedanken, letzte Aufzeichnung von Dominique vom 18.07.2009.)


Angelina


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