Chroniken » Chroniken VI. - Die Zeit der Toten: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2009
2009.01.17 - Vergehen: Entsetzen
19.01.2009 - 02:35

Entsetzen.

Scheiß auf irgendwelche Sprüche in der Bibel.
Scheiß auf irgendwelche Gebote.

Das einzige, was sie jetzt wollte, war haltlos zu fluchen, auch wenn sie wusste, dass es ihr rein gar nichts nützen würde. Wie ein eingesperrtes Raubtier lief sie in ihrem Zimmer auf und ab. Aramis hatte ihr verboten nach draußen zu gehen. Sie war froh ihre Wut nicht an ihm ausgelassen zu haben. So wie er drauf war, hätte er sie auch in Ketten legen lassen, bis sie wieder zur Vernunft kam. Die Wut war besser als die Trauer. Mit Wut konnte sie besser umgehen, als mit dem Schmerz, der sich unweigerlich mit der Zeit einstellen würde, der sie grausam wie ein Schraubstock in die Knie zwingen würde. Jetzt war sie noch wütend, dass würde sie auskosten. Es war ihr egal, ob jemand sie hören konnte oder nicht. Sie fegte alles, was auf ihrem Schreibtisch lag einfach mit dem Arm herunter.

Verdammtes Arschloch, das Du sitzt im Himmel.
Ich hasse Dich für alles, was Du mir angetan hast.
Ich hasse Dich dafür, dass Du mir meine Eltern genommen hast.
Ich hasse Dich dafür, dass ich im Heim aufwachsen musste.
Ich hasse Dich dafür, dass das mit Cara passiert ist.
Ich hasse Dich dafür, dass Du Philippe zu Dir gerufen hast.

Sie zitterte, obwohl es in ihrem Raum genauso warm war wie immer. Es war ihr nicht möglich Ruhe zu finden, obwohl ihr Körper nach Schlaf lechzte. Ihr kam der wahnsinnige Gedanke, dass sie es hätte verhindern können, wäre sie nur bei ihm gewesen.

Warum nur musste er sterben?
Warum verliere ich jeden, der mit etwas bedeutet?
Was sollen das für grausame Prüfungen sein durch die Du mich schickst, HERR?
Was für einen Weg bereitest Du mir da?

Ihre Haare waren zerzaust, ihre Augen müde und geschwollen, ihr Magen rebellierte. Sie fühlte sich an den Rand der Verzweiflung getrieben, so weit, dass nicht einmal Tränen ihr Linderung verschafft hätten. Es war ihr einfach nicht möglich ihrer Trauer freien Lauf zu lassen. Krampfhaft klammerte sie sich an die Wut. Das Klopfen an der Tür ignorierte sie. Wer auch immer es jetzt wagen würde einen Fuß in ihr Zimmer zu setzen würde sich auf etwas gefasst machen müssen. In ihrem Inneren wusste sie, dass es nicht gerecht war, ihre Wut an anderen auszulassen, aber im Augenblick war es ihr egal. Hauptsache sie konnte ein Ventil dafür finden. Sie wusste, wenn die Wut erstmal verraucht war, würde die Erschöpfung kommen. Dann würde sie ins Bodenlose fallen. Die Trauer würde sie überwältigen.

Verdammt sollen all die sein, die sich über Caras Verschwinden freuen.
Verdammt sollen all die sein, die sich seinen Tod gewünscht haben.
Verdammt sollen all die sein, die es jetzt wagen mir in die Quere zu kommen.

Es wagte sich tatsächlich jemand in ihr Zimmer. Sie kannte den Mann vom sehen. Er war Arzt.

Verschwinden Sie hier und zwar am besten sofort!

Er behielt sie ruhig im Auge. Sie tobte noch immer, wollte ihn eigenhändig aus dem Zimmer werfen, als noch zwei weitere Männer auftauchten, als hätte jemand ihnen ein stummes Kommando gegeben. Sie wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Es war ihr egal. Sie wollte allein sein und toben.

Ich sagte raus!

Die beiden Männer kamen auf sie zu. Sie ließen sich gar nicht beirren. Je näher sie kamen, desto bedrohlicher wirkten sie, obwohl sie schlichte Kleidung trugen. Sie verstand nicht, was der Aufstand sollte, begriff es erst, als es zu spät war, als die beiden sie eisern packten und festhielten. Ein wenig unsanft, aber doch bemüht sie nicht zu verletzen, zwangen sie sie auf das Bett. Der Arzt kam näher. In seinem Gesicht spiegelte sich Bedauern wieder. Er sprach leise zu ihr. Erklärte ihr, dass er ihr etwas spritzen würde, damit sie einschlief, dass ihr Körper den Schlaf brauchte. Sie wollte nicht schlafen, doch ihr Körper war entkräftet. Sie hatte nicht gegessen, nicht geschlafen. Die Männer hielten sie eisern fest, sodass der Arzt die Spritze setzen konnte. Sie spürte die Wirkung schneller, als sie es für möglich gehalten hatte.

Verdammt, wer hatte diesen scheiß Arzt gerufen?

Sie dämmerte einfach weg, in einen traumlosen Schlaf, den sie zweifellos dem Medikament zu verdanken hatte, welches durch ihre Adern rann.


Angelina


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