Chroniken » Chroniken IV. - Die Zeit des Aeons: Bericht und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2007
2007.03.31 - VII. Akt: Derrière les Images: DIE ANDEREN können auch hindurch.
03.04.2007 - 12:43

Den Duft des Kissens noch in der Nase, schlug ich die Augen auf. Mein Kopf sollte sich heben. Sollte sich im Zimmer umschauen und einen Hinweis finden, wie ich nach diesem Abend nach Hause und in dieses Bett gekommen war. Doch ich hatte das Gefühl, dass er durch eine mit Nase und Augen ausgestattete Betonkugel ersetzt worden war, welche auch in hundert Jahren nicht durch die Kraft meiner Nackenmuskeln bewegt werden könnte. Und so beließ ich es bei einem kläglichen Seufzer und vergrub mich wieder in den Federn...

Was war geschehen? Es hatte eine Vernissage gegeben. Ich hatte dort Gemälde ausgestellt, die meine ersten Schritte am Hofe, meinen Weg zu diesem unseren Hause und meine Erlebnisse auf dem Bacchanal beschrieben, meine Alpträume verarbeiteten und zwei Frauen zeigten, die einst Opfer meines Urahns geworden waren. Es sollte ein Abschluss dieses durch Leid geprägten Lebensabschnitts werden und zugleich eine Läuterung meiner Familie, deren Name durch die Schandtaten Johanns verursacht worden waren. Ich wollte danach wieder frei sein. Frei von Alpträumen, frei von Bürden und frei von Sorgen. Ich wollte wieder ich sein.

Der Gedanke, dass die neuesten Erkenntnisse über meinen Vorfahren – seine schrecklichen Versuche, durch das Malen mit dem Blut seiner Modelle, seinen Werken eine Art Leibhaftigkeit Teil werden zu lassen – könnte an meinem Gefühlszustand nichts ändern, war schier unerträglich gewesen. Niemand hätte dieses Kreuz mit mir gemeinsam tragen können, da es allein meine Aufgabe war. Und so entsandte ich aus Verzweiflung heraus einen Boten in die regnerische Nacht, im Gepäck einen Brief an keinen geringeren, als den Ordo Proxima. Ich wollte mein wahres Wesen wieder erkennen und meine falsche Seite ablegen. Sie hatte mich die letzten Wochen und Monate zu sehr beherrscht. Damit sollte nun bis in alle Welt Schluss sein und ich war bereit, dafür einen sehr hohen Preis zu bezahlen…

Es klopfte an der Tür. Das Zeichen fürs Frühstück.

Ich hatte von meinem Plan kein Wort an Sophie, oder sonst wen aus unserem Hause verloren. Offen gestanden weiß ich nicht mal, wie sie nun über mich denken. Sophie möchte gewisse Dinge gern selbst unter Kontrolle halten. Ich habe das häufig als mangelndes Vertrauen angesehen. Vielleicht werde ich dafür bald bezahlen müssen. Der Ordo jedenfalls hielt sein Versprechen ein. Tat er das? Er überreichte mir am Ende des Abends ein Geschenk. Wie passend zu einer Vernissage. Es war ein Gemälde. Nicht jedoch von mir, wenn ich auch die Grundzüge der Maltechnik schon einmal irgendwo gesehen hatte. Das Letzte, woran ich mich erinnere, bevor der Filmriss begann, war, dass ich mir dieses Gemälde ansah...

Aurelia!

Oh mein Gott, sie war es! Oder etwa nicht? Aber sie sah verdammt noch mal so aus. Doch ihre Haare wiederum waren in der Art gesteckt, wie jene Frauen auf Johanns Bilder sie tragen. Johanns Bilder! Natürlich, es war Johanns Malstil, der mir dabei so bekannt vorgekommen war. War dies dann möglicherweise jene Amelie, von der er so voller Trauer geschrieben hatte? Die Frau, mit der alles begann? Welch Ähnlichkeit... und welch Ähnlichkeit auch bei ihrer männlichen Begleitung. Aber warum dieses Bild? Warum sollte ich es sehen? Wollte der Ordo mir einen Spiegel vorhalten? Habe ICH etwa Morde begangen?! Habe ICH Frauen getötet?! NEIN, DAS HABE ICH NICHT! WELCH BODENLOSE FRECHHEIT, DIES MEINEN GÄSTEN ZU SUGGERIEREN!

Mein Kopf schmerzte...

Aurelia! Nach all diesen Wirrungen und geplatzten Illusionen über meinen neuen Lebensweg, schien mir lediglich eines so hell wie die Sonne selbst. Meine tiefe Liebe und Bewunderung zu ihr. Es ist nicht die Liebe eines Mannes zu einer Frau. Es ist mehr... ich kann das spüren. Als sie von mir fort ging, machte sie es sich sehr leicht. Ich muss sie nun finden. Nicht zuletzt auch wegen der Entwicklungen zwischen Tschesar und Asphyx könnte sie in großer Gefahr stecken. Vielleicht hat auch sie mich schon gesucht. Ich werde sie finden, um ihr zu sagen, dass ich nun wieder da bin. Das wird sie freuen. Und dann können wir endlich für immer zusammen sein...

(Argus – aus dem Leben eines Toten)


Argus


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