Chroniken » Chroniken III. - Die Zeit des Rades: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2006
2006.05.20 - Lazarus Fest: Ein Brief an einen Freund
29.05.2006 - 01:14

Liebster Freund,

wie versprochen berichte ich Dir von meinem Abend auf dem Ball, von dem ich Dir vor drei Wochen erzählte.

Wie ich dir schon erzählt habe, hatte ich diesen mysteriösen Brief erhalten, der eine Einladung zu einer Hochzeit war – ohne Absender.

Wahrscheinlich wäre ich nicht hingegangen wenn ich mich nicht schon immer viel mit dem Übersinnlichen beschäftigt hätte – was Du so als übersinnlich bezeichnest – Tarot, das Pendeln, Handlesen, Traumdeutungen. Aber das was ich Dir hier berichten werde übersteigt Deine Vorstellungskraft, also nimm Dir Zeit um meine Zeilen zu lesen.

Zu meiner großen Erleichterung begleitete mich eine Bekannte, die ich kurze Zeit vorher im Internet kennengelernt hatte.

Denn völlig alleine zu einer Hochzeit zu gehen, bei der mir weder die Gastgeber, noch der Absender der Einladung, bekannt sind, das schien selbst mir doch etwas zu heikel.

Und nun setz Dich, lieber Freund.

Es kam besagter Abend.

Nachdem ich die Fahrt hinter mich gebracht hatte - und Du kennst ja meinen Orientierungssinn - wurden wir an der Eingangstür von dem Brautpaar erwartet. Ich war etwas verwirrt über den Aufzug der Beiden, nicht wie erwartet, kein Anzug und kein weißes wallendes Kleid. Nein – der Bräutigam war fast ritterlich gekleidet, während die Braut an eine Marienfigur erinnerte, lediglich von einer weißen Robe bedeckt. Was sollte das? Warum trugen sie keine klassische Kleidung? Vielleicht eine Themenhochzeit? Ich betrat den Saal und konnte zum Glück einer Segnung die die beiden vornahmen entgehen. Ich brauche Dir ja nicht zu berichten, wie sehr ich diesen religiösen Hokuspokus verabscheue.

Ich betrat also den Saal. Eine prunkvolle Umgebung, schöne Fresken und einmalige Bilder, Ölgemälde in phantastischen Farben. Ein reichhaltiges Buffet - erst jetzt spürte ich wie hungrig ich eigentlich war - und eine schön gedeckte Tafel.

Mehr konnte ich im ersten Moment nicht wahrnehmen, denn irgendeine gewaltige Macht zog mich aus diesem Szenario, ich versuchte mich zu wehren, es war als würde ich durch einen Tunnel in eine andere Welt gezogen, wollte mich festhalten, schüttelte mich, mir wurde kalt.

Ganz plötzlich befand ich mich nicht mehr auf der Hochzeit und ich hatte nicht mein Ballkleid an, nein, ich kniete in einem Gebetsstuhl, einen Rosenkranz zwischen den Finger und ich betete, ich fror. Keine Ahnung wieso, aber so war es. Ich kniete also und betete, als mich plötzlich von hinten eine schwere starke Hand an der Schulter ergriff. Ich erschrak. Ich drehe mich um und das Einzige was ich sah war ein älterer Herrn der aus der Ferne auf mich zuzukommen schien. Ich spürte noch immer die Hand, wie sie schwer auf meine Schulter lastete, obwohl er gerade erst bei mir angekommen war. Ich schien zu wissen wer er ist. „Lazarus“ sprach ich zitternd. Mein Herz begann zu rasen, ich spürte diese unsägliche Angst. Er flüsterte: „Mein Kind es ist soweit, die Zeit mir zu nehmen was mir zusteht ist gekommen.“ Ich schaute ihn an, ängstlich, bittend flehend, als er plötzlich meine Robe von Körper riss und ich völlig entblößt vor ihm stand. Es war grausam, ich fühlte mich schrecklich, ausgeliefert wusste nicht wie mir geschah. Panik ergriff mich. Ich wollte weg. Wohin? Dort herüber! Eine Tür! Ich rannte so schnell wie möglich auf sie zu. Dahinter stand der Bräutigam, ich erschrak, doch er hüllte mich sofort in eine Decke, ich wurde ruhiger doch immer noch außer Atem, den Tränen nahe.



Ich sage Dir, so etwas hatte ich noch nie erlebt, Du weißt ich habe so etwas öfter, aber so intensiv, dass war mir neu.

In genau diesem Augeblick stand ich wieder mitten dem Saal. Ich war völlig außer Atem, schwach und hilflos. Ich war mir nicht sicher, war das ein Traum? Eine Illusion? Wollte mir jemand etwas sagen? Andererseits, so dachte ich mir, hatte ich solche realen Träume schon immer gehabt. Ich wusch die Erfahrung weg.

Nun stand ich da in diesem Raum, Silja (meine Bekannte aus dem Internet) stand neben mir und wenn ich mich nicht völlig irrte war sie ähnlich verwirrt. Diese Menschen die dort waren, sie trugen teilweise sehr seltsame Kleidung, als seien sie aus dem Mittelalter, der Renaissance oder aus scheinbar völlig anderen Welten, lange wallende Kleider, Lederrüstungen, Korsette. Wohl doch eine Themenhochzeit? Doch warum stand deshalb nichts auf der Einladung? Was sollte das? Wo war ich hier? Es schien fast wie auf diesem Markt auf dem wir vor ein paar Wochen waren, erinnerst Du Dich, auf dieser Burg? Wie in einer anderen Zeit.

Aber nicht nur die Kleidung warfen Fragen auf, auch die Stimmung war höchst merkwürdig. Die Gäste waren gereizt, schrien sich an, hielten Reden, scheinbar politischer Art, ich verstand kein Wort von dem was gesagt wurde. Die Gäste wirkten betrübt, nicht fröhlich, keine heitere Stimmung. Es hatte eher den Anschein einer Beerdigung denn einer Hochzeit.

Nun, abgesehen von der tatsächlichen recht kühlen Grundtemperatur, umgab mich zeitweise ein kalter Schauer, so als läge eine kalte Hand auf meinem Rücken. Ich konnte nicht bestimmen woher er kam oder wann er auftauchte, ich wusste nur er beunruhigte mich. Ich fühlte mich nicht wohl, hatte das Gefühl fehl am Platz zu sein. Hier gehörte ich nicht hin. Du weißt ich fühle mich eigentlich immer schnell heimisch, aber hier nicht. Was war das für ein eigenartiges Fest?

Doch das Allerseltsamste war, dass die einzelnen Gäste umfielen, wie Fliegen von der Wand, einige schienen schreckliche Schmerzen zu haben, andere wurden einfach ohnmächtig. Sie schrien, als würde man ihnen ein Messer an den Hals setzen, räkelten sich auf dem Boden vor Pein, wurden bleich, hatten Luftnot. Schienen um ihr Leben zu kämpfen, Was ging hier vor? Mich beschlich der Gedanke, dass meine Vision zu Beginn des Abends nicht die Einzige gewesen war. Ich unterhielt mich mit einigen der Hochzeitsgäste.

Es hatten einige Visionen, wie ich vermutet hatte, schreckliche Visionen – immer wieder fiel der Name „Lazarus“ „Jungfrau“ die gleichen Personen wurden gesehen. Was hatte es damit auf sich? Wer trieb dieses Spiel? War das ein Spiel?

Doch, halte Dich fest, was ich dann erfuhr sollte mein Leben und meine Weltsicht verändern.

Ich lernte diese Frau kennen – Pia – sie war so freundlich und umsorgend, schließlich berichtete sie mir ein Teil der Hochzeitsgäste seien Vampire und das Brautpaar ebenso. „Völliger Unsinn“ dachte ich mir und sagte ihr dies auch. Das wäre absoluter Wahnsinn. Doch Pia wusste es mir zu beweisen, sie rief ein Mädchen zu sich, sehr hübsch, sich wie eine Katze windend. Merkwürdig, dachte ich. Doch was tat sie da? Sie biss ein anderes Mädchen in ihr Handgelenk, Blut tropft, sie nahm es auf – mit ihrer Zunge – sie saugte daran. Mir wurde schlecht, ich ekelte mich. Was? Wieso? Wo bin ich hier?

„Auf was für Spielchen fahrt ihr denn hier ab?“ schrie ich. „Das ist Wahnsinn“ ich wollte hinauslaufen und lief gegen einen großen Mann mit blonden langen Haaren, er schaute mich an, etwas Anziehendes hatte er an sich. Eine seltsame Art, die mich zu ihm zog, mir aber auch diesen Schauer wiederbrachte. Er strich mir mit dieser Rose über den Rücken. Was sollte das? Ich wich zurück – zu viel Nähe. Doch er hatte Etwas, dass mich nicht weglaufen ließ. Ich hörte ihm zu, er sprach mit sanfter Stimme auf mich ein. Und erklärte mir alles ruhig. Und Du weißt ja was ich für eine Schwäche für charmante Männer habe. Er erzählte mir alles von den Vampiren und was ihre Ziele sind.



Weißt Du noch? Damals als die Schwestern mich immer in das Kellerloch brachten? Ich hatte doch recht. Es gibt sie. Das macht mich glücklich, aber auch traurig, unzählige Stunden – zu unrecht. Oh wie gerne würde ich Schwester Maria hier hinbringen, aber sie könnte sie eh nicht sehen, denn normale Menschen können sie nicht sehen. Warum ich das kann habe ich auch noch nicht ganz verstanden. Irgendwas musst besonders an mir sein. Ich werde es herausfinden und werde es Dir berichten. Denn Dir geht es ja nicht anders.

Aber jetzt erst einmal weiter mit meinem Bericht.

Hätte ich geahnt was mich an diesem Abend noch erwartete, wäre ich sicherlich früher heim gefahren. Schrecklich, noch jetzt ist mir zum Weinen zumute.

Zunächst geschah nichts „Ungewöhnliches“, einige Gäste hatten weiterhin Visionen, fielen in Ohnmacht oder litten an Schmerzen. Zynisch kann ich schon behaupten, mit der Zeit hatte ich mich an das Geschrei und Gebrüll gewöhnt. Ich erschrak nur noch leicht.

Ich unterhielt mich mit einigen Gästen – überwiegend wohl menschlicher Natur, und nicht zu vergessen auch mit diesem Vampir unter ihnen – Vicente ist übrigens sein Name – ihn umgab ein Charme den sich mancher Mann heutzutage besser auch aneignen sollte. Ach, lieber Freund, wenn Du ihn doch nur kennenlernen könntest. Er würde Dir sicher auch gefallen.

Die Stimmung wurde mit der Zeit auch etwas besser, es wurde getanzt, teilweise sogar gelacht und schließlich zur Eheschließung in die Kapelle gerufen.

Doch was dann geschah, lässt mir noch heute das Blut in Adern gefrieren.

Zunächst verlief alles recht „normal“, soweit man das in dieser Situation sagen konnte. Ich persönlich fand es zwar etwas gewagt sich als Vampir die ewige Liebe und Treue zu schwören – schließlich ist dies in der Tat eine sehr lange Ewigkeit, vergleicht man dies mit der Ewigkeit der Sterblichen. Kannst Du Dir das vorstellen? Das muss man sich mal überlegen.

Wie auch immer, es verlief ruhig, bis es hieß: „Sie dürfen die Braut küssen.“

Plötzlich verändert sich Tschesars Verhalten gegenüber seiner Geliebten Aurelia. Ich wusste nicht was los war, aber ich spürte es war nicht gut. Er beugte sich zu ihr, als wolle er sie küssen, doch dann biß er sie, sie schrie, er schien sie töten zu wollen, sie erlitt Schmerzen, weitere Gäste stürmten nach vorne. Geschrei, Hektik, ich wußte nicht wie mir geschah. Unbeschreibliche Angst überkam mich.

Tschesar erhob seine Stimme, sie klang böse, rauer als seine, kratzig: „Ich bin nicht Tschesar, ich bin Lazarus.“ Ein dämonisches Lachen durchdrang den Raum. Dieser Name – sofort schoss mir meine Vision wieder in den Kopf. Doch ich konnte kaum etwas tun, ich war so machtlos, ich war völlig allein, in dieser mir absolut fremden Welt. Es ging alles drunter und drüber. Vampire stürmten nach vorne, versuchten Tschesar oder Lazarus zu töten, doch keiner vermochte gegen sein unsagbare Kraft angehen zu können.

Einige der Gäste versuchen zu fliehen, doch die Türen der Kapelle war verschlossen, Panik brach aus, Aurelia kam zu sich und versucht unter Tränen ihren Mann zur Vernunft zu bringen. Diese völlige Verzweiflung die in diesem kleinem Raum hing, vermischt mit der Panik. Ich spürte wie die Luft ausging, ich hatte solche Angst. Ich erinnerte mich wieder an das Kellerloch von früher. Ich wollte hinaus. Einfach weglaufen. Doch keine Chance, die Situation geriet außer Kontrolle, Frauen schrien, einige Mädchen und Frauen wurden von Tschesar gebissen, seine Augen suchten besessen nach einem neuen Opfer. Die Verletzen hatten heftige Schmerzen. Alle liefen durcheinander. Panik, Geschrei, Tränen, Wut, Angst, alles prallte aufeinander.

Ich fragte mich immer wieder: „Warum bist Du dieser dämlichen Einladung gefolgt? Wieso kannst Du nicht einmal nicht neugierig sein?“. Ich hatte Angst, war verwirrt, wusste nicht ein noch aus – würde ich hier lebend herauskommen? Ich kann Dir sagen, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Ich kann Dir meine Gefühle kaum beschreiben, dennoch weiß ich, dass ich noch niemals im Leben solche Angst verspürt hatte.



Dann endlich wurden die Türen geöffnet, ich weiß nicht mehr was geschah und weshalb sich die Situation beruhigte, dennoch - ich rannte sofort hinaus, mit dieser Journalistin, die ich am Abend kennengelernt hatte. Sie verstand ebenso wenig wie ich.

Ich suchte verzweifelt nach Vicente oder dem Journalisten Gabriel, mit denen ich mich zuvor unterhalten hatte, doch niemand von ihnen war auffindbar, niemand der mir erklären könnte was geschehen war. Ich fühlte mich schon wieder so alleine, wollte weinen, einfach heim. Doch dann plötzlich schien das Ganze noch kein Ende zu haben. Dort kam ein Mädchen auf mich zu in einem weißen Kleid, Loreley wurde sie genannt, ein junges Vampirmädchen, dass von Tschesar oder besser Lazarus gebissen worden war. Gierig und hämisch grinsend kam sie zu mir. Sie wollte sich wohl nun an den Menschen unter uns stärken. Erneute Panik überkam mich, wo sollte ich hin? Zurück in die Kapelle? Einfach hinaus? Ich wusste es nicht? Verschwitzt lief ich hinaus. Das Mädchen hinter mir her, irgendwie konnte ich sie dann endlich abhängen. Wahrscheinlich einfach Glück.

Ich atmete durch. Ich weiß gar nicht mehr wie ich diese Situation überlebt habe. Jetzt wo ich Dir diese Zeilen schreibe, zittere ich wieder ebenso wie vor einer Woche als sich alles begab.

Dann endlich, sah ich ein bekanntes Gesicht, Vicente kam zur Tür herein. Verstört, Hektisch blickte er sich um und kam sofort zu mir. Am Liebsten wäre ich ihm in die Arme gefallen und hätte ihn nie wieder losgelassen, aber er nahm mich von selber in den Arm – ich weiß nicht wieso, aber ich vertraute ihm – er schien jedoch selber nicht genau zu wissen, was geschehen war.

Ich wurde etwas ruhiger. Jetzt denkst du sicher wieder, dass es nur an ihm lag, aber das stimmt nicht, die Situation an sich hatte sich auch beruhigt.

Schließlich bot Vicente mir den Schutz und somit die Zugehörigkeit seines Hauses an. Du weißt gar nicht was für eine Ehre das ist. Ich war erleichtert und spürte irgendwie, dass es das Richtige sein würde.

Doch dann biss er sich ins Handgelenk und meinte ich müsse meine Lippen mit seinem Blut besiegeln. Du kannst Dir vorstellen, daß ich das schon wieder überhaupt nicht toll fand. Aber hätte er vor Dir gesessen, hättest Du ihm auch vertraut. Vicente versicherte mir, ich würde keine Schmerzen haben. Also vertraute ich ihm. Und es war gut so. Es geschah nichts besonderes, er nahm mich lediglich in seine Arme und stellte mich den Anderen vor. Alles sehr nette Menschen und auch die Vampire waren freundlich. Nicht wie man sich das vorstellt. Keine blutsaugenden Monster. Ich wünschte ich könnte Dich mitnehmen und Dich teilhaben lassen an all dem.

So neigte sich der Abend auch langsam dem Ende entgegen. Es wurde noch eine kurze Ansprache des zurückgeholten Tschesar gesprochen, der bei allen seinen Gästen um Verzeihung bat. Und es wurde erzählt, dass Aurelia wohl nun wieder von menschlicher Gestalt sei und sich an nichts erinnere. Armer Tschesar, er kann einem leid tun. Stell dir mal vor, er hätte seiner Aurelia eine Ewigkeit Treue geschworen und nun erinnert sie sich nicht an die letzten Jahre – wie viele es wohl sein mögen? Bestimmt ein paar Hundert.

Vicente verkündete schließlich, dass sich die Häuser Asusena und Nekhrun zu einem zusammenschließen wollen.

Aber was es damit auf sich hat erkläre ich Dir in einem anderen Brief. Ich muss mich noch etwas meinem Studium widmen.

Ich freue mich, Dich bald wiederzusehen.

Ganz liebe Grüße

Deine Joeren


Joeren Amundson


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