Chroniken » Chroniken III. - Die Zeit des Rades: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2006
2006.02.25 - IV. Akt: Tagebucheintrag von Melody
04.03.2006 - 03:11

Rundherum, ums helle Feuer,
Rundherum, in wildem Tanz,
Kreisen Körper, Geister, Blicke,
Berühren sich im Fluge.


Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll, diesen Abend zu beschreiben. Beängstigend, furchteinflößend und doch geprägt von Hoffnung...

Schon als ich das Gebäude betrat, war mir mulmig. Ich war allein, Storm war ja mit Haus Khaan gegangen und ich hoffte nur, sie dort endlich wiederzusehen. Ich habe sie schmerzlich vermisst die letzten zwei Monate.
Doch zuerst traf ich auf einen Mann ganz in rot, mit einer blutroten Maske...fast wie die Gestalt, die ich schon einmal in diesem Traum gesehen habe, und doch so anders.

Ich flüchtete vor ihm hinein in den Raum, der aufgrund der Menge an Gästen fast aus allen Nähten zu platzen schien. Dort wurde ich von einer Frau in Empfang genommen, die mir sagte, das, was ich fürchte, sei nicht hier. Aber ich hatte ihn schon gesehen...

Sie geleitete mich die Treppe hinab in den Raum hinein, wo ich gleich von Angelina begrüßt wurde. Ich war wirklich froh, sie zu sehen, denn immerhin war es wenigstens ein bekanntes Gesicht, jemand, der freundlich zu mir gewesen war. Sie stellte mir AiDo vor, jemand, der für diesen Abend und auch danach noch von Bedeutung für mich sein würde, aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Er jagte mir Angst ein, wie all die anderen Männer auch....

Storm war noch nicht da, doch schon kurz nachdem ich den Raum betreten hatte, hörte ich ein Scheppern und als ich mich umsah, stand sie dort. Mein Herz machte einen Satz und ich stürmte auf sie zu, um ihr um den Hals zu fallen. Erst jetzt war mir bewusst geworden, wie sehr ich sie wirklich vermisst hatte. Sie gab mir ein wenig Mut und ihre Gegenwart ließ mich ein wenig entspannen.

Wir setzten uns in eine Ecke und da gerade ein Theaterstück aufgeführt wurde, das Storm offenbar so gar nicht interessierte, packte sie ihren Discman aus und hörte lautstark Musik, was bald auch von anderen Anwesenden bemerkt wurden, die sie baten, doch etwas leiser zu sein.

Das Stück schien sich beinahe endlos lang hinzuziehen und immer wieder schweifte mein Blick durch den Raum und über die Gäste. Ein paar bekannte Gesichter, auch von Haus Lucius, die mich aber kaum beachteten. Nicht, dass es mich störte, ich war zufrieden mit Storms Anwesenheit.

Doch schon kurz nachdem das Stück vorbei war, war es auch damit vorbei. Er hatte mich offenbar bemerkt. Ich floh...wie auch die Male zuvor schon. Und es schien ihm Spaß zu machen.
Genau das sagten mir dann auch Storm, Angelina und Tatjana...dass ich nicht weglaufen soll, dass er dann aufhören würde. Aber wie kann ich nicht vor ihm fliehen?

Ich weiß nicht, wann es war, als mich AiDo fand, nachdem ich wieder einmal geflüchtet war. Er redete mit mir, lange. Auch wenn es mehr ein Monolog war...

Ich weiß nicht, wie er es schaffte, aber er war der erste, der erfuhr, was mit mir geschehen war, was mich zu dem machte, was ich bin. Er hat nur Fragen gestellt. Fragen, zu denen ich meist keine Worte fand und nur nicken oder den Kopf schütteln konnte, weil mir die Worte im Hals stecken blieben, als die Erinnerungen, die ich so lange unterdrückt hatte, sich ihren Weg zusammen mit bitteren Tränen an die Oberfläche bahnten.

Und er ist nicht gegangen. Er fühlte sich nicht angeekelt...er blieb. Er sagte Dinge, die ich so schnell nicht vergessen werde. Und er bot mir seine Hilfe an.

Den Rest des Abends wich er kaum von meiner Seite, unterhielt sich auch mit Storm und ganz langsam wich etwas von meiner Angst – zumindest vor ihm.

So viel geschah an diesem Abend, dass ich nicht in Worte zu fassen vermag. Ich wurde Zeuge eines seltsamen Ritus, den ich bis jetzt nicht ganz verstehe und einer Opferung, dessen Opfer zu einem Vampir wurde, denn er stand wieder auf.

Und ständig war er da und rief die Angst zurück an die Oberfläche, immer dann, wenn ich glaubte, sie hinuntergekämpft zu haben, flüsterte mir Worte ins Ohr, die mein Blut noch immer gefrieren lassen, wenn ich daran denke...

Doch stets war AiDo da, auch als er mich schließlich durch eine Frau um ein Gespräch bat. Ich wagte nicht, alleine zu gehen, also begleitete AiDo mich und auch Storm ließ sich nicht davon abhalten. Ich weiß nicht, was ohne die Beiden geschehen wäre.

Ich traute mich kaum, ihm in die Augen zu sehen, den Blick zu heben in sein Gesicht, dass über und über von schwarzen Äderchen überzogen war, als er schließlich vor mir stand. Er fragte mich, wovor ich Angst hätte und als ich ihm sagte, dass er der Grund sei, hatte er dafür nur ein Lachen übrig. Aber was hatte ich anderes erwartet?

Er packte meine Hand, die, die seit Jahren bei jeder falschen Bewegung schmerzt, weil die Knochen nie richtig verheilten, und drückte zu, ergötzte sich an meinen Schmerzen und auch auf Bitten von AiDo ließ er nicht los. Storm versuchte seine Hand zu lösen, doch er drückte nur noch fester zu. Erst nach langen, qualvollen Minuten, die mir wie Ewigkeiten vorkamen, ließ er wieder los, aber der schmerzhafte Knoten in meiner Brust blieb. Es war noch nicht überstanden, das wusste ich und als er seinen Handschuh auszog und meine Hand erneut packte...

Ich hörte nur ein einziges Wort. „Koche!“
Es war ein Gefühl, als ob meine Hand Feuer gefangen hatte, aber es kam von innen und je länger er mich berührte, umso mehr breitete sich das Feuer in meinem ganzen Körper aus. Ich konnte nicht schreien, konnte mich nicht losreißen...
Meine Knie gaben unter mir nach und ich sank auf den Boden und noch immer lag seine Hand um meine, ließ die Flammen immer höher schlagen, bis ich glaubte, zu verglühen.
Wieder rannen Tränen über meine Wangen, Tränen des Schmerzes und der Hilflosigkeit. Würde es nie aufhören? Würde es immer wieder Männer geben, die mir ihren Willen aufzwangen?

Ich merkte schon gar nicht mehr, wie Storm neben mir auf dem Boden kniete, lag nur zusammengekrümmt da und wimmerte leise. Irgendwann ließ das Feuer nach, verebbte zu Glut und verlosch. Ich bemerkte nicht, was um mich herum geschah, hörte nur unzusammenhängende Worte, bis mir AiDo schließlich wieder auf die Beine half.
Er fragte, ob ich bereit sei, ihn zu unterstützen und ihm zu helfen und ich konnte nur nicken. Ich wollte seine Hilfe, wollte ihm dafür ebenfalls etwas geben, wenn ich es konnte. Ein Lächeln huschte über seine Züge und er stellte sich vor mich, griff nach der nie wirklich verheilten Hand und murmelte leise Worte, die ich kaum verstand.

Und plötzlich war es, als hätte es Trash und seine Jungs nie gegeben. Ich konnte fast spüren, wie die Knochen sich an den richtigen Stellen wieder zusammenfügten und der Schmerz, der eine Konstante in meinem Leben geworden war, verschwand als hätte er nie existiert...

AiDo und Storm führten mich zurück zum Fenster, wo Storms Decke und unsere Sachen ausgebreitet lagen, auch Angelina war da. Ich glaube, ich habe nie zuvor in meinem Leben solche Dankbarkeit gefühlt wie in diesem Moment. Ich weiß nicht, ob sie ahnten, dass sie mir damit, dass meine Hand geheilt wurde, etwas zurückgaben, dass ich schon für immer verloren geglaubt hatte...

Wir saßen noch eine Weile beisammen, als er schließlich wiederkam. Wie anders er doch wirkte! Keine schwarzen Adern schimmerten durch die Haut, das Gesicht nicht zu einer Maske des Zorns verzogen. Es war, als wäre er von einem guten Geist besessen. Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll.
Er verabschiedete sich von uns allen...

Und du, du bist so ein Herzchen!

Noch immer höre ich seine Worte und kann nicht glauben, dass sie aus seinem Mund kamen. Ich weiß nicht, was mit ihm geschehen ist und ob es vielleicht nur ein Trick war?

Ich weiß nur, dass ich jetzt in meinem eigenen kleinen Zimmer sitze und wieder eine Gitarre vor mir liegen sehe, langsam anfange, wieder zu lernen, wie man mit ihr umgeht...

Und in mir wächst die Hoffnung, dass ich irgendwann das, was war, hinter mir lassen kann.


Melody


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