Chroniken » Chroniken II. - Die Zeit des Wandels: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2005
2005.09.24 - III. Akt: Über den Status quo
29.09.2005 - 14:47

Meine teure Camilla,

ich bedaure aufrichtig, dass es Euch nicht vergönnt war, der Einladung des Hauses Asmodeus Folge zu leisten.

Diesem Abend mangelte es zweifellos nicht an Unterhaltung; ich möchte sogar behaupten, dass es für den ein oder anderen schlicht zuviel des Guten gewesen ist. Immerhin führten die Entwicklungen auf der Asmodeischen Initiationsfeier zu der dringlichen Bitte des Herrn Isidor von Xanten, Euch als gewissermaßen Prinzipalin des Hauses Magnus in diesem Lande über die präzisen Abläufe und deren Konsequenzen in Kenntnis zu setzen – eine dermaßen eloquent vorgetragene Bitte, dass ich ihr mit Vergnügen an dieser Stelle nachkommen möchte. Aber wie heißt es bei Doyle: „Cut out the poetry!“. Ich werde also auf eine atmosphärische Schilderung der Ereignisse verzichten und in groben Zügen nur die Abfolge der eher irregulären Ereignisse wiedergeben.

Bereits in seinen einleitenden Worten gab Monsieur Lothringus nicht nur seiner Freude über die geplante Berufung einer entzückenden neuen Knappin, sondern überdies sein Bedauern über die Gegenwart einer böswilligen supranaturalen Entität Ausdruck, mit der das Haus Asmodeus offensichtlich bereits seit ein paar Jahrhunderten einen Strauß ausficht (Lothringus umschrieb es prosaisch als einen „Krieg“). Haus Asmodeus bot deshalb den Gästen Schutz in Form eines auf die Stirn gezeichneten hermetischen Symbols (das allessehende Auge, das sowohl die Illuminaten wie auch der Hermetic Order of the Golden Dawn verwendeten, glaube ich) an. Trotz dieser Schutzmaßnahmen forderte die Entität ein Todesopfer aus den Reihen des Hauses Asmodeus und sorgte bei den Mitgliedern anderer Häuser für einige Verwirrung und mitunter irrationales, zwanghaftes Verhalten.

Der zweite prägnante Zwischenfall betraf Luzia, Vertreterin des Hauses Abbadon, die im Zustande höchster Erregung und im Beisein zahlreicher Gäste einen neuen Vampir schuf. Isidor von Xanten fühlte sich zur Intervention genötigt, sprach Luzia die Berechtigung zur Zeugung eines Vampirs (und überhaupt Abbadon das Recht auf den Status eines Hauses) ab und forderte Lothringus auf, diese Verletzung der Gebote der Nacht zu ahnden. Lothringus tat sich seinerseits mit einer Entscheidung schwer. Isidor forderte Luzia daraufhin zum Hadestanz; Luzia lehnte die Herausforderung jedoch ab.

Der dritte Vorfall ereignete sich bei der Weihe (oder wie immer sich der Vorgang in Asmodeianischen Kreisen nennt) der neuen Knappin. Zunächst folgte der Vorgang offenbar der althergebrachten Regel, doch dann entschied sich die solcherart Berufene für eine Abweichung des Protokolls, was wiederum zu einem Eklat zwischen ihr und Lothringus geführt hat.

Vor allem das zweite oben dargestellte Geschehen war der Anlaß für Isidor, eine Art außerordentlicher Versammlung am Rande des Hofes der Nacht einzuberufen. Zur Beratschlagung bat er die Damen Isabell und Owlivia seines eigenen Hauses; Frau Josephine (Haus Khaan); Sophie von Kühn für Haus Hardenberg; den Ältesten Nekhrun; und meine Wenigkeit für Haus Magnus. Die Vorfälle wurden in sachlicher Manier erörtert und verschiedene Argumentationen – mäßigende und weniger mäßigende - kamen zum Vortrag. Isidor von Xanten gab schließlich seine Ansicht kund, dass Lothringus nicht mehr in der Lage sei, das Haus Asmodeus angemessen zu führen. Als Argumente für diese Schlussfolgerung kamen wohl folgende Fakten zur Wertung, wobei der dritte Punkt mutmaßlich für Isidor entscheidend gewesen ist:

1. Lothringus Sanguinius de Blanchefort scheint nicht in der Lage, die Angehörigen und die Gäste seines Hauses angemessen vor einer Bedrohung zu schützen, die ihm schon lange bekannt ist.

2. Lothringus Sanguinius de Blanchefort scheint keine autoritäre Macht mehr über die Angehörigen seines Hauses zu besitzen. Als Beispiele gelten das regelwidrige Verhalten der Erwählten Saskia und der offene Widerspruch eines anderen Angehörigen seines Hauses.

3. Lothringus Sanguinius de Blanchefort scheint entweder nicht willig oder nicht fähig, die Gebote der Nacht unter Angehörigen und Gästen seines Hauses durchzusetzen.

Isidor von Xanten teilte daraufhin dem hinzugekommenen Lothringus Sanguinius de Blanchefort mit, dass das Haus Lucius die Autorität Lothringus als Ältester des Hauses Asmodeus nicht länger anerkennt. Damit ist es Lothringus beziehungsweise Haus Asmodeus zum derzeitigen Zeitpunkt nicht länger gestattet, weitere Vampire zu zeugen (wenn ich das, in den Geboten nicht sonderlich bewandert, richtig gedeutet habe). Isidor erklärte Lothringus jedoch auch, dass diese Entscheidung durchaus nicht unumkehrbar ist.

Das waren die wesentlichen Entwicklungen des Abends, soweit sie mir augenfällig geworden sind. Ich bitte um Entschuldigung für den Mangel an Form des Niedergeschriebenen; aber da ich Eure eigenen Schlussfolgerungen nicht vorwegnehmen will, habe ich mich für eine angemessen objektive, jedoch zwangsläufig kunstlose Form entschieden. Der Bitte Isidor von Xantens habe ich damit, wie ich hoffe, im ausreichenden Maße Genüge getan. Da derartige Entscheidungen mutmaßlich Einfluß auf den gesamten Hof der Nacht haben, empfehle ich meinerseits, die weiteren Mitglieder des Hauses Magnus über den Status quo in Kenntnis zu setzen.

Ich würde mich freuen, meine Teure, Euch bei Gelegenheit wieder zu begegnen.

Mit den besten Wünschen für Eure Gesundheit verbleibe ich

Yours truly,

Lawrence Edward Selwyn, Esq.

(Brief von Lawrence Edward Selwyn, Esq. an Mlle. Camilla Lasalle)


Beaufort


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