Chroniken » Chroniken II. - Die Zeit des Wandels: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2005
2005.05.14 - I. Akt: Zeros Reflektion
16.05.2005 - 19:35

Tagebucheintrag 15.05.05

Der Drache ist erwacht.

Sein Atem ist so heiß
Es brennt wie Feuer
Mauern stürzen ein
Türen werden aufgestoßen
Was zum Vorschein kommt sind Schmerzen
Sein stechender Blick bohrt sich mir in die Seele
Ich kann seinen fauligen Atem riechen.
Ich sehe sein Grinsen
und fühle seine Verachtung.
Ich bin völlig hilflos,
habe Angst, mich zu bewegen,
an den Fesseln zu zerren,
die nur noch tiefer ins Fleisch schneiden.
Ich weiß nicht, wie oft ich sein Messer schon gespürt habe.
Die Schmerzen vereinen sich zu einem großen
und sein Messer nähert sich meinem Auge.
Mein Gott, töte mich doch endlich.

Eine Erinnerung und ein Name.
Johanna Georges.
Ich.

Es sollte eine Feier geben. Die stillen Räume, die mein Zuhause geworden sind, waren voller Menschen und Vampire. Der Frieden dieser Räume schien gestört, durch soviel Anwesenheiten. Der Hof der Nacht traf sich auf Schloß Hardenberg. Eine Feier zu Ehren des Nachwuchses.

Ich?

Sophie, bat mich, eine Rede zu halten für die Neulinge am Hof der Nacht. Was hatte ich für ein Lampenfieber. Doch als sie nach und nach die Räume betraten und ich ihre ratlosen, teilweise ängstlichen Gesichter sah, wusste ich, dass es gut ist, sie separat zu begrüßen. Die Erinnerung an meinen ersten Besuch beim Hof der Nacht war doch noch sehr frisch und ich konnte ihre Gefühle gut nachvollziehen. Mein Lampenfieber stieg allerdings noch weiter an, als auf einmal viel mehr Gäste in dem Raum standen als nur die Neuen. Ich, eine Rede halten, vor so vielen ? Ich merkte, wie meine Stimme zu Anfang zitterte und meine Hände waren vor Aufregung naß. Dennoch, ich habe es geschafft und es hat mir sogar ein Lob von Isidor von Xanten eingebracht. Irgendwie hat mich das verlegen, aber auch sehr stolz gemacht. Anscheinend hatte ich mich nicht schlecht geschlagen.

Wieder einen Schritt weiter.

Die Nacht fing also gut für mich an. Ein Geschenk habe ich sogar erhalten von Lyra. Es sieht aus wie ein Spinnennetz mit Federn. Sie sagte, es sei ein Traumfänger. Ich habe ihn über mein Bett gehängt und eine Spinne beginnt auch schon, ihn in ihr Netz zu integrieren. Ich wünschte mir, er würde meine schönen Träume für mich auffangen und meine Albträume ziehen lassen.

Ich begann langsam, mich sicherer in der Gesellschaft zu fühlen. Waren doch einige dort, die noch viel unsicherer und ängstlicher schienen, denen ich vielleicht ein wenig helfen konnte. Dies alles wurde jedoch kurz darauf von dem Schicksalsdiener Mercurius zunichte gemacht.

Warum musste er mir das Dunkel meiner Vergangenheit vorhalten?
Warum musste er über mich spotten, weil ich mich nicht erinnern kann?
Hatte ich mich doch endlich mit meinem Schicksal abgefunden,
da führte mir ebendieses wieder meine Schwäche vor Augen.

Zur Unterhaltung der Gäste hatten sich Sophie und Friedrich einen Dichterwettbewerb überlegt. Damit die Neuen am Hof der Nacht sich spielerisch in den Austausch mit Vampiren einfinden können, wurden Paare aus einem Vampir pro Haus und einem Menschen gebildet. Es war eine schöne Idee, dieser Wettbewerb. Nachdem sich die Paare gefunden hatten und alle dichteten, wurde es auf einmal so ruhig in den Räumen, dass für einen Moment der Frieden des Hauses wieder hergestellt schien. Leider währte dies nicht lange.

Auch, wenn nur ein Gedicht gewinnen konnte, so war doch fast jedes auf seine Art schön. Viele dieser Zeilen rührten mich und zeigten mir, dass sich hinter manchen kalten Masken doch immer noch die Schönheit einer Seele und eines verletzlichen Herzens befindet.

Später am Abend gab es etwas Aufregung unter den Gästen. Anscheinend wurde durch die Menge der Anwesenheiten die Ruhe einer kleinen Seele gestört. Sie nahm sich den Körper von einer der Neuen. Ich glaube, sie hatte ihre Mutter entdeckt und wollte mir ihr noch mal reden. Die arme Kleine schien ziemlich verstört.

Wie gerne würde ich ihr Frieden schenken und den Weg ins Licht zeigen.
Doch ich kann es nicht.
Ich kann wieder mal nur ihr Leid spüren, ohne Chance etwas daran zu ändern.
Hilflos und schwach, wie immer.

Als der Abend voranschritt, kam noch ein Gast, den ich erkannte. Es war der Tod. Er trat in einem Körper auf und hatte sich eine Gestalt gegeben, die für manche schaurig war. Doch ich wusste, wer er war, da ich ihm bereits begegnet bin und seine Anwesenheit häufig auf Schloß Hardenberg spürbar ist. Es war eine Freude ihn zu sehen, weil ich vor ihm keine Angst haben muß. Er ist freundlich. Er ist ehrlich. Er verspottet einen nicht. Am Ende sorgt er dafür, dass Leid und Schmerzen verschwinden. Seine Anwesenheit wirkte auf irgendeine Weise tröstlich für mich und half mir bei dem, was an dem Abend noch kommen sollte.

Ein Geschenk für mich, nannten sie es, als dieser vor Dreck starrende Kerl mit einem Tuch über den Kopf von Hans hereingeführt wurde. Es gab eine rührende Rede von Sophie über mein Schicksal und in mir stieg die Angst. Als sie das Tuch entfernten, sah ich nur seine Augen. Dieser irre Blick, der sich in meine Seele eingebrannt hatte, die nun die Erinnerung freigab. Was für eine Erinnerung.

Angst, Erniedrigung, Schmerzen,
völliges Ausgeliefert-sein,
Hilflosigkeit, Blut,
die Schmerzen gehen tiefer,
durchstoßen die Hülle
ein Schrei in meinen Ohren,
ich merke, dass es mein eigener ist,
ein Messer, welches sich langsam meinem Auge nähert,
Dunkelheit.
Warum muß die erste Erinnerung,
nach der ich mich solange gesehnt habe,
so weh tun ?
War das Vergessen nicht ein Segen?
Mein Name, er klingt wie ein Fluch.

Friedrich schenkte mir seine Ruhe und Kraft, so dass ich ihm gegenübertreten konnte. In diesem Moment war ich wieder hilflos und schwach. Und als Sophie mich bat, das Urteil über ihn zu sprechen, wünschte ich mir nur, dass ich diese Hilflosigkeit nie mehr spüren müsste. Der Tod ist ein mildes Urteil und bringt nichts wieder zurück, was ich verloren habe. Aber er befreit diese Welt und mich von diesem Monster. Für einen Moment habe ich es genossen, sein Leben in den Händen zu halten und seine Angst zu sehen. Zu gerne hätte ich es selbst getan. Aber wie schnell war dieser Moment wieder vorbei.

„Ich habe es für einen von Euch getan“.
Diese Worte hallen immer noch in meinen Ohren nach.
Er ist also immer noch da.
Der Täter ist tot.
Derjenige, der dahinter steckt, ist immer noch am Hof der Nacht.
Und ich weiß nicht, ob er sich nur an meinem Zustand ergötzt
oder ob er plant, seine Tat irgendwann zu vollenden.
Irgendwie bin ich ihm ausgeliefert.
Wie lange werden Sophie und Friedrich mich beschützen können,
weil ich es selbst nicht kann?

Sophie hat mir etwas von dem Blut des Täters gegeben. Ich will nicht mehr hilflos sein. Ich bin es so leid. Ich wünsche mir, ich hätte sein Blut selbst trinken können.

Die erste Erinnerung... kann man sich ein großzügigeres Geschenk wünschen? Friedrich hat Recht. Jetzt, wo der Schmerz eine Gestalt hat, kann ich ihn irgendwann bewältigen. Und es ist ein Anfang. Eine Tür, die geöffnet wurde, die vielleicht auch irgendwann das verlorene Glück offenbart. Eine kleine Hoffnung, dass ich irgendwann wieder ganz sein werde und den Drachen annehmen kann.

Zero?
Veronika?
Johanna?
Ich.


Cay


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