Chroniken » Chroniken II. - Die Zeit des Wandels: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2005
2005.02.26 - Passion der 7: Camillas Brief
16.03.2005 - 07:56

Louis, mein Herz, mein Liebster!


Dieses Mal werde ich nicht säumig sein mit dem Schreiben, denn ich habe sehr viele und vor allem unglaubliche Dinge zu berichten!

Du erinnerst Dich, dass ich Dir schrieb, dass das Haus Lucius einen prachtvollen Ball ausstatten wollte, zu dem auch ich geladen war.
Nun, dieser Ball hat vor ein paar Nächten stattgefunden, und ich will Dir nun davon berichten, ich bin selbst jetzt noch so aufgeregt, dass ich nicht weiss, ob ich die richtige Reihenfolge der Ereignisse wiedergebe, aber sei`s drum.

Es begann, wie nun einmal ein Ball beginnt, zunächst mit dem Einlass der Gäste. Ich war erstaunt, dass ich Monsieur David Mc Callum vorfand, Du erinnerst Dich vielleicht an ihn, es handelt sich um den jungen, schottischen Antiquitätenhändler, der mich beim Letzten Treffen der UNSRIGEN töten wollte, weil ich ihm gestand, WAS ich war. Ich hatte nun ein, sagen wir einmal, erfolgreicheres Gespräch mit ihm, obwohl er sichtlich nervös war ob UNSERER Anwesenheit. Auch Tatjana, die Erwählte Darleens, war anwesend, und ich musste sie vor allem Übel beschützen, wenn ich konnte.

Es folgte die Vorstellung bei den Gastgebern, und schon an diesem Punkt erlebte ich die erste unangenehme Überraschung: Der Majordomus rief mich als Älteste des Hauses Magnus auf, damit ich mich dem Herren Isidor und der Dame Isabelle vom Hause Lucius vorstellte und ihnen mein Gastgeschenk, es war ein Paar Silberohrringe mit eingearbeiteten Rubinen im altrömischen Stil für die Dame des Hauses, überreichen konnte.

Ich machte den Herrschaften also nun eben meine Aufwartung, als plötzlich jemand von hinten an mich herantrat, dessen Stimme ich mit Entsetzen sofort erkannte – es war Jerome, der sich zu dieser Veranstaltung gewagt hatte, wie auch immer er es geschafft hatte, mich zu finden!

„Einen Moment, bitte, ich glaube, hier liegt ein kleines Missverständnis vor, denn ICH bin hier der Älteste des Hauses Magnus!" zischelte er in seiner ihm eigenen Art aus niederträchtigem Charme und Bestimmtheit. Sowohl der Majordomus, als auch die Gastgeber, als auch ich blickten verwirrt drein und wir alle staunten nicht schlecht, jedoch war mein Erstaunen von übler Natur geprägt. Ich stand da, ein wenig ängstlich, hauptsächlich aber vor Wut schäumend und schrie Jerome an: „Was, zum Teufel, machst Du hier?! Wie bist Du hier her gekommen?!“ „Ich war eingeladen, genau wie Du!“ sagte er nur knapp mit einem maliziösen Lächeln.

„Ich glaube dir kein Wort!“ entgegnete ich, wobei ich Monsieur Isidor ansah, in der Hoffnung, in seinem Gesicht ein Zeichen dafür zu finden, dass Jerome schamlos log, aber der Herr des Hauses Lucius sah mich ebenso verzweifelt an. Nebenbei bemerkte ich, dass die anderen Gäste uns mittlerweile anstarrten. Natürlich war es mir unangenehm, jedoch konnte ich es ohnehin nicht mehr ändern, dass der alte Streit zwischen Jerome und mir hier und jetzt wieder entflammt war.

„Es ist aber WAHR, kleine Schwester, ich BIN eingeladen und hab doch keine Angst vor mir!“ Mit diesen Worten packte Jerome mein Handgelenk und zerrte mich zu sich. Ich wehrte mich dagegen und löste mich mit Gewalt aus seinem Griff, „lass mich gefälligst los!“ schrie ich ihn an, so dass es für jedermann deutlich zu hören war.

Erneut lachte er boshaft auf und begann nun, sich dem Gastgeber zu widmen, indem er ihn an eine alte Fehde erinnerte, in der es wohl um eine Dame ging, die Jerome wohl sehr zum Ärger von Monsieur Isidor verführt hatte, soweit hatte ich es jedenfalls verstanden. Monsieur Isidor schien sich nicht daran zu erinnern, vielmehr hatte ich jedoch das Gefühl, dass er sich nicht erinnern wollte. Wütend stampfte ich mit dem Fuss auf, wohlwissend, dass ich nichts gegen Jerome ausrichten konnte, ich konnte nur hoffen, dass ER nichts gegen MICH unternahm an diesem Abend.

Schliesslich liess er Monsieur Isidor, der sichtlich um Contenance rang, in Ruhe und hielt mir seinen Arm hin, um mich zu einem der Tische zu geleiten. Was sollte ich tun? „Darf ich UNSEREN Gastgebern wenigstens noch ein Geschenk überreichen?!“ fauchte ich Jerome an. „Ja, aber bitte! Natürlich!“ Mit dem gespielt liebenswürdigsten Lächeln wartete er ab, bis ich das Paar Ohhringe überreicht hatte, um dann meine Hand zu nehmen und mich zu einem Tisch zu geleiten.

Wir setzten uns an den Tisch, an dem schon Monsieur McCallum, Tatjana, die Erwählte Darleens und noch einige, mir unbekannte Herrschaften sassen. Jerome nahm auf sehr legere Art Platz und fragte mich in herausforderndem Tonfall: „Na, willst Du mich den Damen und Herren nicht vorstellen?!“ „Nein, das kannst du selbst tun!“ entgegnete ich wütend und rang innerlich um Fassung, wie konnte er bloss so dreist sein? „Na schön, ganz wie du meinst...“ Er setzte sein charmantetes Lächeln auf und stellte sich der Tischgesellschaft mit ausgesuchter Höflichkeit vor, während ich schmollend daneben sass.

Als er mit seiner Vorstellung zuende war, kam eine junge Dame an unseren Tisch, die offensichtlich zu Jerome gehörte. „Ah, Anne, ma chere, setz Dich doch zu uns! Camilla, liebste Schwester, darf ich dir Anne vorstellen – Anne von Mahr, sie ist MEIN Kind...“ „Du meinst, eine deiner LAUNEN“ antwortete ich kühl und sah die junge Dame an. Sie war wirklich noch sehr jung, hübsch anzusehen und sehr gut gekleidet. Neugierig sah sich mich durch ihre neumodischen Augengläser an und reichte mir ihre Hand. Da ich ihr gegenüber nicht unhöflich sein wollte, begrüsste ich sie ebenfalls, hatte ansonsten aber keinerlei Interesse an ihr und zu meinem Glück verliessen Jerome und Anne den Tisch auch alsbald wieder.



Ich entspannte mich ein wenig, hatte ich doch immer ein wenig Sorge um Tatjana und Monsieur McCallum, ich wusste ja, wozu Jerome fähig war, nicht auszudenken, was passierte, wenn er die beiden mit mir in Verbindung brachte, was er bis jetzt nicht tat, und dann noch übellaunig wurde.

Monsieur McCallum war so freundlich, mir ein Glas Wein zu bringen, der mir auch ein wenig zu Kopf stieg, was noch wesentlich zu meiner Entspannung beitrug, ich wurde davon regelrecht beschwingt und war sogar zu Spässen aufgelegt, nachdem ich Jerome zunächst aus den Augen verloren hatte.

Dann begab es sich, dass sich neben dem Tisch, an dem ich Platz genommen hatte, eine sehr laute und aufdringliche Gesellschaft niederliess, indem sie einfach einen weiteren Tisch und Stühle in den Saal schleppten und dann lautstark Platz nahmen. Ich war entsetzt ob soviel Fehlen von Höflichkeit und Etikette und begann mich zu ärgern über jenes Haus Tamburlaine, da es mich mit seinem Lärm in meinem Gedankenfluss störten, und überhaupt, warum reagierte der Gastgeber nicht? Hätte eine solche Gesellschaft meinen Ball derart gestört, hätte ich sie hinauswerfen lassen, mit dem Rat, sich doch vor dem Besuch eines Balls kundig über feines Benehmen zu machen!

Also überlegte ich mir, dieser Gesellschaft ein wenig auf den Zahn zu fühlen, zu MEINEM Vergügen...

Zuerst unterhielt ich mich mit einer Dame namens Marianna, sie war die Tochter des Hausältesten, Monsieur William. Ich fragte die Dame, ob sie sich langweile, da sie den Tisch nicht verliesse, um sich umzusehen, nun, was soll ich sagen, mein Herz, zuerst antwortete sie, dass sie sich langweile, dann wieder nicht, und als ich weiter bohrte, doch wieder langweile, um es kurz zu machen, ich drehte ihr die Worte im Munde herum und sagte, dass, wenn sie den ganzen Abend auf ihrem Platz sitzen bliebe, sie auch nichts erleben würde. Dann erzählte sie mir von der Philosophie ihres Hauses, dass sie ihre „Kinder“ sehr frei erzögen, was ich gleichsetzte mit dem Fehlen der Etikette, nun gut, ich hatte genug erfahren. Während der Unterhaltung hatte ich hin und wieder unauffällig intensiven Blickkontakt mit einem ihrer Erwählten, einem jungen, hübschen Gecken, und es würde ein Leichtes für mich sein, später meinen immer stärker werdenden Hunger an ihm zu stillen...

Plötzlich stand die Dame Marianna tatsächlich auf, entschuldigte sich und verliess den Tisch. In diesem Augenblick setzte sich Jerome neben mich. „Was willst du von mir, Jerome?“ Ich sah ihn ärgerlich an und wartete auf eine vernünftige Antwort, vergebens selbstverständlich. „Ich bin hier, weil ich mich um ich SORGE! Du bist hier so allein und da dachte ich, es sei eine gute Idee, dich aufzusuchen!“ „HÖR ENDLICH AUF, ZU LÜGEN, JEROME!!! Du hast dich noch nie um jemandem geschert, ausser um dich selbst!“ „Aber das stimmt nicht, kleine Schwester, ich bin IMMER in Sorge um Dich, immerhin sind wir eine Familie, nicht wahr?! „Ja, aber das ist auch das einzige, was uns verbindet! Und hast du dich auch um mich gesorgt, als du mich blutleer in deinem Haus zurückgelassen und mir einen schönen TAG gewünscht hast, weil ich diesen Jungen aus deinen Klauen befreit hatte? Oder als du mein Haus gestohlen, all meine Kleider verbrannt und meine Bankkonten vernichtet hattest?! HAST DU DICH DA UM MICH GESORGT?! Der einzige, der sich wahrhaftig um mich gesorgt hat, war Louis.“ „ Ach, Camilla, was Louis betrifft, er ist ein alter Langeweiler, ein müder Philosoph, kein wirklicher von UNS! Er ist so weich, dass mir übel wird, wenn ich an ihn denke!!!“ „ Sprich nicht so über Louis, du kennst ihn ja nicht einmal, also urteile nicht über ihn!“ Jeromes verächtlicher Tonfall brachte mich zum Kochen und ich wünschte mir, dass ich ihm direkt, hier und jetzt im wahrsten Sinne des Wortes an die Kehle gehen dürfte, um ihn für seine verlogenen Worte zu bestrafen. „Ah, man spielt zum Tanz auf! Du wirst mir diesen doch nicht verweigern, Camilla, ich würde wirklich zu gern sehen, ob du noch so gut tanzt, wie früher, erinnerst du dich? Schliesslich habe ich es dir beigebracht!“ Selbstverständlich erinnerte ich mich, die prachtvollen Bälle der Gesellschaft meiner Zeit und wie ich Jerome damals kennenlernte und noch nichts von seinem wahren Wesen ahnte, als ich begann, ihn zu lieben...

Widerwillig liess ich mich von ihm auf die Tanzfläche zerren, was er wohlweislich bemerkte. „Du führst dich auf wie ein Kind, Camilla!“ Ich schnitt ihm eine Fratze : „Ja, und, was gefällt dir daran nicht?!“

Gespielt entnervt stöhnte Jerome auf: „Da! Jetzt schon wieder! Wieso kannst du nicht EINMAL richtig BÖSE sein, so wie es UNS zusteht? Ein ganz NORMALES Mitglied UNSERER Gesellschaft?!“ „Weil ich nicht WILL!“ „Oh, nein, sag nicht, du hast dich schon wieder mit einem Sterblichen eingelassen! Wer ist es diesesmal? Ist er vielleicht HIER?“ Ich antwortete nicht auf Jeromes Fragen und ebenso verschloss ich meine Gedanken vor ihm. Ich war mehr als froh, dass ich meinen geliebten Gabriel nicht mitgenommen hatte zu diesem Ball.



Als der Walzer endete, entliess Jerome mich und ich konnte mich endlich wieder „frei“ bewegen. Monsieur McCallum empfing mich mit einem zweiten Glas Wein, welches ich dankbar annahm. Ich trank schnell und gierig, in der zweifelhaften Hoffnung, vielleicht die Wirkung des Weines zu verspüren und meinen Ärger über Jerome zu mildern. Wenn ich nur gewusst hätte, was er eigentlich plante. Ich setzte mich, um nachzudenken, als ich wiederum durch das laute Gehabe der Gesellschaft Tamburlaine gestört wurde und das machte mich erst recht rasend. „Monsieur McCallum, ihr müsst mich entschuldigen, aber... ich habe Hunger und es ist nicht gut, wenn ich hungrig bin, versteht ihr? Er verstand nicht ganz, dennoch schickte ich ihn weg, er sollte nicht sehen, WAS aus mir wurde, wenn ich hungrig war. Schliesslich stand ich wieder auf und suchte die Nähe des jungen Gecken namens Xavier, den ich ohnehin schon ins Auge gefasst hatte. Ich begann eine zwanglose Unterhaltung, in der ich ihn fragte, ob er wisse, was Etikette sei, „ja, natürlich weiss ich das!“ antwortete er belustigt und ich fragte weiter, ob er auch wisse, wie man dieses Wort schreibe. Xavier begleitete mich ohne zu zaudern in eines der oberen Turmzimmer des Schlosses, in dem man ungestört war. Ich hatte nun keine Lust mehr, mich zu unterhalten, ich war bloss noch hungrig und wurde ungehalten ob dessen. „Was ... was tut ihr da, Madame?“ „Nichts, gar nichts, mein Lieber... Es ist nur so, ich bin sehr hungrig und das ist nicht gut!“ Ich drängte ihn zum Rückwärtsgehen, so dass er nicht fort konnte und stiess ihn gegen eine der Wände, um mir das von ihm zu nehmen, was ich so dringend benötigte. Dann trank ich von ihm, was ihm offensichtlich sehr grosses Vergnügen bereitete, denn der Junge stöhnte auf und zog mich enger an sich heran, so dass ich fast die Beherrschung über mich verlor, ich konnte mich nur mit grosser Mühe von ihm losreissen. Ich zügelte meine Gier, verschloss seine Wunde und lies ihm sein Leben, so wie es die besondere Weise unseres Hauses ist.

Xavier war ein wenig wie in Trance, während ich ihm zuflüsterte, dass er mich nun nicht mehr vergessen und sich nach mir verzehren würde, mich aber jetzt verlassen müsse. Mit sehr unsicherem Gang taumelte er die Treppenstufen hinunter zurück in den Saal, immer zu mir heraufblickend, während ich noch oben an der Brüstung stand und mein perlendes Gelächter den Turm erfüllte.

Als ich den Ballsaal wieder betrat, wurde gerade zu einem Spiel aufgerufen, in welchem jedes Haus einen Erwählten in einen Kreis von Vampiren schicken sollte, und jener Erwählte musste mit verbundenen Augen durch Berührungen oder andere Sinne die Angehörigen seines eigenen Hauses finden, während alle der UNSRIGEN um ihn kreisten. Fehlte der Kandidat, durfte man sich eine kleine „Strafe“ für ihn ausdenken. Neugierig gesellten sich Tatjana und Monsieur McCallum zu mir und fragten, was es mit dem Spiel auf sich habe, und sahen mich erwartungsvoll an. „Nein, ihr haltet euch da raus!“ sagte ich nur knapp, es kam überhaupt nicht in Frage, dass sie an diesem Spiel teilnahmen. Ich hatte eine andere, viel bessere Idee! Wenn ich die Spielregeln recht verstanden hatte, wurde nicht explizit erwähnt, dass HAUSEIGENE Erwählte geschickt werden sollten. Ich ging daraufhin auf Xavier zu und flüsterte: „Monsieur, nehmt ihr doch für mich an dem Spiel teil!“ Mit diesen Worten stiess ich ihn sanft in den entstehenden Kreis, in dem ihm sofort eine Augenbinde angelegt wurde, jedoch beschwerte er sich, dass dieses Tuch unbequem sei. Ich schlich mich hinter ihn und sagte ihm leise, dass es ihn vielleicht freute, dass dieser Schal meiner sei, den ich für das Spiel zur Verfügung gestellt hatte. Xavier war sofort zufriedener und schon begann das Spiel auch.

Die Erwählten gingen blind umher, ich stellte mich Xavier in den Weg, aber er erkannte, dass ich nicht zu seinem Haus gehörte, wahrscheinlich roch er mein Parfum und schob mich darauf hin lächelnd weg, um dann einer Dame seines Hauses in die Arme zu laufen. Er hatte das Spiel gewonnen und nahm das Tuch von seinen Augen. Er sah zu mir herüber und steckte mein Tuch lächelnd ein, während ich in höchstem Maße amüsiert war. Im nächsten Augenblick sah ich, wie eine andere Erwählte des Hauses Tamburlaine „blind“ auf mich zuging und ich stellte mich ihr demonstrativ in den Weg. Sie berührte mich sehr sanft, was mich angenehm erschaudern liess, so weich... ich erwiederte ihre Berührungen ebenso sanft, was ihr, so erschien es mir jedenfalls, auch nicht unangenehm zu sein schien. Dennoch erkannte sie, dass ich nicht zu ihrem Haus gehörte und so gewann auch sie das Spiel. Als sie ihr Tuch abnahm, geschah etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte: Die Dame küsste mich sehr zärtlich auf die Lippen und instinktiv erwiederte ich diesen Kuss, ich hatte keinerlei Scham deswegen, eher im Gegenteil, es hätte mich nach mehr verlangt...

Mein Hunger war wieder um ein Vielfaches entfacht, und so entfernte ich mich lächelnd von dieser Dame, deren Namen ich nicht mehr erfuhr.

In meiner Suche nach jemandem, der meinen Hunger zu stillen vermochte, stiess ich auf einen jungen Herrn, der mich im Saal schon mehrfach beobachtet hatte, wie es mir schien. Er kam auf mich zu und begrüsste mich sehr elegant mit Handkuss und begann ein Gespräch mit mir, in dem ich erfuhr, dass sein Name Marius Nachtsheim war. Leider war ich durch meinen Hunger schon sehr unkonzentriert, so dass ich nicht vielmehr über dieses Gespräch berichten kann. Es gelang mir, Monsieur Nachtsheim ebenfalls in das Turmzimmer zu locken, und auch er wusste nicht, wie ihm geschah.

Ich machte kein grosses Aufhebens und nahm direkt von ihm, wobei er mich aufgeregt an sich presste und nach mehr verlangte: „Ja, nimm mehr von mir, bitte!“ entfuhr es ihm und ich konnte dieser Einladung wohl kaum widerstehen. Als mein Hunger einigermaßen gestillt war, liess ich von ihm ab und verschloss seine Wunde.

Daraufhin verliessen wir beide das Turmzimmer und kehrten in den Saal zurück, wo Monsieur Nachtsheim sich etwas erschöpft, aber mit einem Lächeln von mir entfernte. Mercurius, „mein Schicksal“, auf das ich immer wieder traf, hatte wohl beobachtet, wie ich mit Monsieur Nachtsheim den Saal verliess und so kam er zu mir, um mir zu sagen, dass ich Acht geben solle, da Monsieur Nachtsheim nicht gänzlich ungefährlich sei.



„Danke für Deine Auskunft, Mercurius!“ ich war ein wenig verstört ob dieser Information und fragte mich, wie gross die Gefahr wohl sei, die von Monsieur Nachtsheim ausging. Sollte ich ihn heute Abend noch töten? Diese Frage stellte ich mir ernsthaft, obwohl sie mir zuwider war.

In der Zwischenzeit musste es im Hause Tamburlaine wohl einen Streit wegen Xavier und mir gegeben haben, denn plötzlich kam Xavier auf mich zu und legte meinen Schal wortlos mit einer energischen Geste demonstrativ auf den nächstbesten Tisch.
Ich hatte verstanden, die Hausältesten hatten ihn wohl von mir „befreit“, wie ich amüsiert feststellte. Plötzlich kam die Dame Marianna wütend zu mir und herrschte mich an: „ Du hast einen grossen Fehler gemacht, Camilla!“ „So?! Und dürfte ich auch erfahren, welchen?“ fragte ich belustigt mit aufgesetzter Unschuld. „Du hast einen unseren Erwählten beeinflusst!“ sprach Marianna wutentbrannt weiter. „Ach, wirklich? Nun, ich dachte, Ihr seid so frei erzogen... Einmal abgesehen davon, habe ich nichts getan, er ist mir freiwillig gefolgt. “

Mittlerweile umringten mich einige Mitglieder des Hauses Tamburlaine, ich spürte, dass es gefährlich werden konnte, dennoch liess ich mir nichts anmerken, ich war auch viel zu amüsiert über die Widersprüchlichkeiten, die anscheinend in diesem Haus zu herrschen schienen. „Du hättest UNS fragen müssen, ehe du mit ihm weggingst!“ sagte die Dame äusserst wütend, „DAS ging zu weit!“ Mit einer Unschuldsmine beteuerte ich: „Oh, das wusste ich nicht! Diese KLEINIGKEIT, zu fragen, scheine ich wohl vergessen zu haben... Ich dachte, ihr seid so FREIZÜGIG erzogen?! Ihr müsst mir verzeihen!“ sprach ich in meinem ironischsten Tonfall. „Nein, das verzeihen wir nicht!!!“ Die Dame Marianna las meine Gefühle, ich liess sie gewähren, denn alles, was sie sehen konnte, war, dass ich mich grossartig amüsierte über sie und ihr Haus. Dann kam sie auf die Idee, sich bei MEINEM Hausältesten, Jerome, der sich wie zufällig hinter Marianna befand und wahrscheinlich auch seinen Spaß ob dieser Szene hatte, über mich zu beklagen, auf dass er mich für meine „Schandtat“ bestrafte, aber es wurde nur noch absurder: Marianna erklärte Jerome, was ich angerichtet hatte, schimpfte und wartete mit dem Finger auf mich zeigend darauf, dass Jerome mich bestrafte für mein „Fehlverhalten“.

Anstelle dessen aber fragte er mich mit gespielt strengem Ton: “Was muss ich da hören? Was hast du nur getan, Camilla?“ „Nichts! Ich habe DAS getan, was DU mir gesagt hast!“ Jerome lachte schallend und sagte: „Siehst du, du kannst es, ich muss nur lange genug warten...“ Mit diesen Worten liess er mich und die Dame Marianna stehen und ging seiner Wege. Ich hatte geahnt, dass er nichts tun würde, im Gegenteil, er war genauso amüsiert wie ich.

Voller Zorn starrten Marianna und die anderen Mitglieder ihres Hauses, die nun mittlerweile eine Art Kreis um mich herum gebildet hatten, mich an und langsam fühlte ich mich bedroht ob ihrer Überzahl. Just in diesem Augenblick, ich weiss bis heute auch nicht, weshalb, nahm sich das Haus Khaan der Sache an, indem mein liebster Feind, Monsieur von Oppenheim, Xavier Schmerz einflösste, so dass dieser aufschrie und in die Knie ging. Gleich darauf wurde Xavier noch durch Monsieur Bocanegra, dem Hausältesten des Hauses Khaan, von einer „Unbehaglichkeit“ gequält, die ihn auf den Boden warf, wo er sich wälzte, als ob er von Tausenden von Insekten gebissen wurde.

Währenddessen schlich ich mich von hinten an Monsieur von Oppenheim heran und flüsterte ihm zu: „Danke, Monsieur, Ihr habt mir damit sehr geholfen!“ Er knurrte bloss unfreundlich und so zog ich mich zurück, um die restliche Komödie von meinem Tisch aus zu beobachten. Es gab eine Diskussion zwischen den Häusern Khaan und Tamburlaine und schliesslich den Gastgebern. Ich hätte nur zu gern gewusst, worum es in dieser Diskussion ging, es war sicher nicht mein dreistes Auftreten dem Hause Tamburlaine gegenüber.

Kurz darauf nahmen die Mitglieder des Hauses Tamburlaine hastig ihre Mäntel und machten sich wütend und beleidigt zur Abreise bereit. Ich machte mir noch einen Spaß daraus, mich von Marianna zu verabschieden, in dem ich sagte: „Ach, Ihr wollt uns schon verlassen? Ich dachte, es sei jetzt nicht mehr langweilig für Euch?!“ Ich glaube, sie wäre mir am liebsten an die Gurgel gegangen, aber sie antwortete nur knapp und äusserst erregt: „Wir werden ja noch sehen, wer zu letzt lacht, und wer zuletzt lacht, lacht bekanntlich am besten!“ Nun, ja, in diesem Augenblick war ich diejenige, die zuletzt lachte...

Kurz darauf wurde ich jäh aus meinem Amüsement gerissen, als ein junges Mädchen blutüberströmt und vor Schmerzen schreiend in den Saal stürzte. Man hatte sie wirklich übel zugerichtet, geschlagen und ihr vielleicht noch Schlimmeres angetan, so dass sie zu Boden fiel, schrie und auf den Gastgeber regelrecht zukroch.



Louis, mein Herz, in diesem Augenblick wurden alle meine schrecklichen Erinnerungen von damals mit einem Male wieder allgegenwärtig. Starr und unfähig, zu handeln stand ich da und wandte meinen Blick von diesem armen Geschöpf ab, welches sich vor Schmerzen auf dem Boden wand. In meinen Gedanken sah ich mich und Mister Delaware, der mich... Wieder ein Schrei dieses Mädchens, ich glaube, es war der Gastgeber, der sie letztendlich tötete und von ihrem Leid erlöste, da, wo Du mich gerettet hattest.

Ich wollte bloss noch den Saal verlassen, ich hatte derlei genug gesehen und bat Monsieur Nachtsheim, der mit einer Dame in einem roten Samtkleid neben mir stand und mein Unwohlsein bemerkt hatte, mich zu begleiten. Daraufhin schrie die Dame mit dem Samtkleid ihn an und zeigte mit dem Finger auf mich: „Geh nicht mit ihr!!! Das Mädchen ist von SO EINEM WIE SIE getötet worden!!!“ Ich wusste in diesem Augenblick nicht, wie ich zu reagieren oder was ich hätte darauf antworten sollen, also schwieg ich und begab mich allein zum Ausgang des Saales. Traurig stieg ich die Treppen hoch zu einem Balkon, von den man aus den Saal überblicken konnte und nahm auf einem der Stühle Platz. Was dachte sich diese Dame eigentlich? Dass ich eine eiskalte Mörderin sei, so wie vielleicht die meisten von UNS? Ja, ich hatte überlegt, Monsieur Nachtsheim zu töten, aber zuerst wollte ich Beweise, dass er wirklich eine Gefahr für mich und andere von UNS darstellte, jedoch würde ich ihn nicht auf´s Geratewohl umbringen.

Dann wiederum dachte ich an das Leiden des Mädchens im Saal, daran, wie ich gelitten hatte, damals. Alles schien sich zu wiederholen auf eine groteske Art... „Darf ich Platz nehmen?“ Monsieur Nachtsheims Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich sah zu ihm auf. „Selbstverständlich, Monsieur!“ antwortete ich und wies auf den Stuhl neben mir. Er setzte sich und sah mich an. „Ihr seht traurig aus, Madame! Ist etwas geschehen?“ „Ich... verzeiht, aber für WAS haltet Ihr mich, ich meine, was wisst Ihr über UNS?“ „Ich verstehe Eure Frage nicht ganz, aber ich halte Euch führ eine sehr anmutige, schöne, junge Dame!“ Ich schüttelte den Kopf und bedeutete ihm damit, dass ich dies nicht gemeint hatte. „Ich danke Euch für Euer Kompliment, Monsieur, aber die Frage war anders gemeint, also werde ich sie anders formulieren: Ihr habt doch sicher einen Grund, weshalb Ihr heute abend hier auf diesem Ball seid, nicht wahr?“ „Ich verstehe immer noch nicht, was Ihr meint, Madame!“ „Also gut, dann werde ich Euch ganz direkt fragen: WAS wisst Ihr über VAMPIRE?“ Erstaunt sah er mich an. „Nichts, gar nichts, ausser dass, was ich aus Filmen und Büchern kenne. Vampire sind Wesen der Nacht, trinken Blut und töten.“ „ Und was wäre, wenn ICH nun so ein VAMPIR wäre und töten könnte?“ „IHR??? Nein, Ihr seid viel zu schön dazu!“ „Aber meine Schönheit hat damit nichts zu tun! Ich... ich BIN ein Vampir und ich KANN töten, verzeiht, aber es ist so.“ sagte ich mit niedergeschlagener Stimme. Verblüfft und verwundert sah Monsieur Nachtsheim mich an und konnte oder wollte es nich glauben. „IHR???“ „Ja, ich. Diese Tatsache führt mich zu meiner nächsten Frage an Euch: Seid Ihr ein Jäger? Wisst Ihr, wie man UNS vernichten kann?“ „Ich, nein, ich bin kein Jäger und ich weiss nichts über EUCH oder wie man EUCH vernichtet, ausser die Sache mit den Kreuzen, Holzpflöcken und dergleichen, eben das, was ich, wie ich schon sagte, aus Filmen oder Büchern weiss!“ Während er sich erklärte, las ich seine Gefühle und fand nichts darin, was auf einen wirklichen Jäger hindeutete, er war verwirrt ob meiner Fragen und hoffte inständig, dass ich ihn nicht tötete, wenn ich tatsächlich ein Vampir war. „Ich glaube Euch, Monsieur, aber ich muss Euch dringend bitten, dieses Geheimnis für Euch zu bewahren. Kann ich Euch vertrauen in diesem Punkt?“ „Selbstverständlich, Madame!“ „Habt Dank, Monsieur Nachtsheim! Wollen wir wieder in den Ballsaal gehen?“ „Ja, das wäre auch mir recht!“ antwortete er mit spürbarer Erleichterung darüber, dass ich ihm nichts zuleide getan hatte, aber warum hätte ich das auch tun sollen? Er hatte mir keinerlei Anlass gegeben, ihn zu töten und ich war, um ehrlich zu sein, froh darum.

Alsbald läutete der Gastgeber, Monsieur Isidor dann auch den Abschluss des Festes ein, indem er in einer Abschlussdiskussion Meinungen darüber einholte, welches nun die grösste und mächtigste der sieben Todsünden, die UNS wohl alle erfüllten, an diesem Abend sei, er selbst sei der Meinung, dass es wohl der Hochmut sei.

Natürlich meldete Jerome sich als erster zu Wort, indem er ebenfalls den Hochmut als mächtigste aller Todsünden für den Abend postulierte. Ich hielt dagegen, und bestimmte, dass es wohl doch die Masslosigkeit sei, denn sie beinhalte schliesslich alle anderen Todsünden, man kann masslos hochmütig, zornig oder träge sein, erwähnte ich als Argument. Diese, für mich eher ermüdende Diskussion, endete schliesslich damit, dass Monsieur Isidor bestimmte, dass der Hochmut die grösste aller Todsünden sei, was mich aber nicht weiter überraschte, denn schliesslich war er der Hausherr und Gastgeber des Abends.

Dann endlich wurde der Ball durch die Dankesworte des Gastgebers für das zahlreiche Erscheinen der Gäste und für ihre Geschenke aufgelöst und ein allgemeines Verabschieden der Gäste untereinander begann. Ich jedoch stieg so schnell ich nur konnte, in eine dieser cremefarbenen Mietautomobile, die vor dem Schloss auf Fahrgäste warteten, ohne mich von irgendjemandem zu verabschieden. Ich weiss, dass dies in höchstem Maße unhöflich von mir war, aber zuviele Gedanken gingen mir durch den Kopf: Was war, wenn Jerome mir folgte? Eigentlich war ich sicher, dass er nicht gesehen hatte, wie ich das Schloss verliess, und überhaupt, was hatte er vor? Hatte er vielleicht an diesem Abend schon „Freunde“ gewonnen, die er nun gegen mich einsetzen konnte?

Ich machte mir ernsthaft Sorgen darüber, vor allem wegen Gabriel. Ich hatte Angst um ihn. Und ich hatte vor noch etwas anderem Angst, ich weiss, es klingt lächerlich, aber was würde geschehen, wenn Monsieur Nachtsheim mich ausfindig machen würde? Ich hatte ihm klar gesagt, WAS ich war und dass es UNS tatsächlich gibt. Was würde er nun mit seinem erlangten Wissen anfangen?

Als das Mietautomobil mich vor meinem Haus entliess, beschloss ich, nicht mehr an die Geschehnisse des Abends zu denken, ich konnte mir immer noch dann Gedanken um alles machen, wenn tatsächlich etwas geschah. Ich war nun wirklich müde, um nicht zu sagen erschöpft, und wollte nur noch schlafen. Schliesslich nahm ich von meinem eigenen Blut, damit ich in einen tiefen, traumlosen und ruhigen Schlaf fiel, aus dem mich Gabriel am nächsten Abend wecken sollte.

Louis, mein Liebster, natürlich werde ich Dir auch weiterhin schreiben, so wie sich die Dinge ereignen.

In Liebe,

Dein Dunkler Engel


Camilla


Camilla


gedruckt am Heute, 18:18
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