Chroniken » Chroniken II. - Die Zeit des Wandels: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2005
2005.02.26 - Passion der 7: Lothringus Rückblick
10.03.2005 - 16:11

Es ist die Nacht nach dem Ball. Ich bin allein. Lyra schläft bereits, der gestrige Abend hat sie erschöpft. Wie ich ihren Namen schreibe, spüre ich Stolz und Dankbarkeit. Es war eine gute Entscheidung, sie als Matriarchin zu wählen, kein anderer Platz würde ihr gerecht. Wie sie dastand auf dem Ball, würdevoll und majestätisch, so viel mehr die Herrin des Hauses als ich, nun ja, eine Rolle, an die ich mich gewöhnen muss.

Die anderen, nun ja, Saskia hat sich sicher auch schon in ihre Gemächer zurückgezogen. Lyra hat sich nun endgültig entschlossen, sie zu erwählen. Ich werde ihr meinen Segen geben, wenn die Familie wieder vereint ist.
Antonio und Setheus sind bereits wieder auf dem Weg nach Château Blanchefort. Es war ein kurzes Wiedersehen. Ich muss Setheus mitteilen, dass er den Leuchter mitbringen soll. Ich will ihn dem Schotten zeigen, um den sich scheinbar die Hälfte der Häuser reißt.

Philipp ist nirgendwo zu finden, aber es scheint wohl seine Art zu sein, zu kommen und zu gehen, ohne bemerkt zu werden.

Und so sitze ich hier nun und lasse den Ball Revue passieren. Es war ein prunkvolles Fest, die Passion der Sieben, welches gar mit der Siegesfeier des Preußischen Heeres in Metz zu vergleichen war. Damals, vor mehr als einem Menschenleben sollte ich sie kennen lernen, Lucretia, meine große Liebe und Nemesis.

Doch ich will später auf dieses schicksalhafte Thema zurückkommen.

Ich musste auf dem Ball feststellen, dass meine Etikette in der Tat über die Jahre verstaubt und eingerostet sind. Doch ich habe mich schnell wieder gefangen. Als wir den Saal betraten, wurde ich gleich angefahren, ob man sich da, wo wir herkämen, nicht vorstelle. Mein Gegenüber war niemand Geringeres als Friederich von Hardenberg, der Dichter. Zu schade, dass ich keine seiner Werke gelesen habe. Vielleicht werde ich dies bei Gelegenheit einmal nachholen.

Nun, das Fest nahm seinen Lauf. Die anderen Häuser waren so unterschiedlich wie nur irgend möglich. Haus Lucius präsentierte sich wie erwartet majestätisch, Isidor und Isabell thronten am Kopfende des Saals und machten dem Begriff "Hof der Nacht" alle Ehre. Leider hatte ich keine Gelegenheit, länger mit ihnen zu sprechen, ebenso wie ich Vlavius und Morgana kaum zu Gesicht bekam.
Nun, dafür waren meine Kontakte mit anderen Vampiren und Geprägten sehr zahlreich.

Da wäre zunächst Haus Rabenstein, ein Haus von theatralischen Finsterlingen, welche es wohl komisch fanden, sich hinter einem Fächer zu verbergen, sobald ich in der Nähe war. "Herr der Kreuze" nennen sie mich, wirklich amüsant. Das Spielchen scheint Spaß zu machen, denn im Laufe des Abends wurden es immer mehr, die sich mit Fauchen hinter ihren Fächern verkrochen, wann immer ich an ihnen vorbeiging.

Dann wäre da Haus Caesar, schon zur ersten Begegnung kann ich sagen, dass die Gier des legendären Gaius Julius nach Macht und Besitz im Titel mitvererbt wurde. Was mir auffiel war die Selbstverständlichkeit, mit der dieses selbstgefällige Haus gleich einen gesamten Tisch im Festsaal für sich beanspruchte.

Auffällig war weiterhin, dass einer der Schergen des Caesars jedes Mal auftauchte, wenn ein anderes Haus mit einem Geprägten gesprochen hatte, und sich nicht einmal zu fein war, diese mit schnödem Mammon in ihre Reihen zu kaufen, bevor sie länger als ein paar Stunden mit diesen gesprochen hatten.

Ein reichlich unüberlegtes Handeln, wie ich finde. Dadurch werden sie sich eher einen Brutus ins Haus holen, als ihnen lieb ist, was mir offen gestanden keine schlaflosen Tage bereiten wird.

Wie es schien, genießen die Tempelritter auch in der heutigen Zeit noch viel Aufmerksamkeit. So wurde ich mehrfach, wie erwartet, auf das Kreuz auf meiner Brust und die Geschichte der Templer angesprochen.

Eine unglaublich unverschämte Person besaß doch tatsächlich die Frechheit, mir erklären zu wollen, mein Haus sei eigentlich der "Orden des Baphomet", da doch Baphomet und Asmodeus ein und dieselbe Entität seien. Ihre Unverschämtheit wurde nur noch von ihrer Dummheit und Unwissenheit übertroffen. Ich war kurz davor, ihr die Hölle heiß zu machen, zumal ich mich mitten in einem Gespräch mit Don Alessandro Falcone befand und sie nichteinmal das Satzende abwarten konnte.

Des Weiteren musste ich mich Haus Purgatorios erwehren, welche mich doch tatsächlich auf Häresie prüfen wollten und dazu sämtliche Gerüchte ausgruben, die es jemals um uns gegeben hatte. Diese Narren wissen gar nichts und verstehen tun sie noch weniger.

Und dann war da sie.

Sie, die mir schon zu beginn des Abends aufgefallen war. Ihre Schönheit und ihr Anmut stellte selbst Damen wie Isabell von Xanten und Aglaia in den Schatten. Ihre Augen waren groß und ausdrucksstark, ihr Haar seidig und honigblond.

Als sie sich mir dann vorstellte, traf es mich wie ein Schlag. Lucrezia! Ihr Name war Lucrezia!

Es war, als sei ich einem Feuersturm ausgesetzt, als Erinnerungen in mir emporstiegen, welche ich lange verdrängt hatte. Dinge, die selbst Setheus nicht weiß, welche ich in den finstersten Winkeln meiner Seele vergraben hatte, kamen wieder an die Oberfläche. Mir gefror das Blut in den Adern.

War es ein Wink des Schicksals, dass ausgerechnet sie mir ins Auge gefallen war; dass ich diesen und dem letzten Festball vor nunmehr einhundertunddreißig Jahren mit einer Dame dieses Namens verbringen sollte; dass die Schönheit einer Frau dieses Namens mich erneut bezaubern sollte.

Der Abend verging im Fluge, ich fühlte mich jung wie lange nicht mehr, doch Tags darauf fand ich keinen Schlaf. Doch ist es wirklich sie, die mir den Schlaf raubt, oder ist es vielmehr die Erinnerung an jene schicksalhafte Nacht vor einundsechzig Jahren, in der mich das Schicksal ereilte? Ich weiß es nicht...

Aber ich muss mich ermahnen, nicht die Fassung zu verlieren. Es wird kaum mehr als ein Zufall sein, dass sie diesen Namen trug. Und doch, Nomen est Omen.

Beherrsche dich, Lothringus de Blanchefort! Was würde sie nur denken, wenn sie dich so sähe! Unglaublich, dass der Name einer Frau dich derart aus der Fassung bringt! So kannte sie dich nicht! Als du sie damals kennen lerntest, warst du es, der den Mädchen den Schlaf raubte und nicht umgekehrt.

Eine andere Geschichte, die ich ein andermal erzählen will. Ich höre Philipp von seinem Streifzug zurückkehren. Ich denke, eine Partie Schach gegen ihn zu verlieren ist eine gute Idee, es bringt mich auf andere Gedanken...bis die Sonne aufgeht...


Lothringus


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