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6. Regie - Aufgaben und Funktion beim Theater der Vampire
07.12.2004 - 08:38

"Kunst und Wissenschaft wirken in sehr verschiedener Weise.
Dennoch muß ich gestehen, so schlimm es klingen mag, daß ich ohne Benutzung einiger Wissenschaften als Künstler nicht auskomme.
Das mag vielen ernste Zweifel an meinen künstlerischen Fähigkeiten erregen. Sie sind es gewohnt, in Dichtern einzigartige, ziemlich unnatürlich Wesen zu sehen, die mit wahrhaft göttlicher Sicherheit Dinge erkennen, welche andere nur mit großer Mühe und viel Fleiß erkennen können.
Es ist natürlich unangenehm, zugeben zu müssen, daß man nicht zu diesen Begnadeten gehört.
Aber man muß es zugeben."
(Bertolt Brecht)


Ein wichtiger und wesentlicher Gedanke des Theaters der Vampire ist, dass es im Spiel keine Symbole für einen Trennung des onstage vom offstage gibt, wie das sonst im Vampire Live gewöhnlich der Fall ist.

In den meisten Systemen gibt es zum Beispiel farbige Bänder (gelb) oder Zeichen, die anzeigen, das man, zum Beispiel die Spielleitung gerade nicht onstage und daher ansprechbar ist.

Genauso gibt es manchmal Spielleitungsansagen, zum Beispiel auf das Ausrufen von regeltechnischen Zahlenwerten und Zuständen (Beispiel: SL-Ansage: Du hast nur noch 2 Blutpunkte und fällst in Raserei") oder das "ansagen" von bestimmten Ereignissen (Beispiel:"Eine Explosion erschüttert den Raum, überall bricht Feuer aus!"), die sich die Spieler dann vorstellen und darauf reagieren sollen.

All das kann die sensible Atmosphäre und Stimmung des Spiels stören, weil es eine Unterbrechung der Spiels und der Spielwelt bedeutet - im schlimmsten Fall ein Herausreissen aus der Rolle, in die man sich mühevoll hineinversetzt hatte.

Eine der wesentlichen Ideen des Theaters der Vampire ist der bewußt Verzicht auf diese Dinge, um die Illusion des Spiels, das Eintauchen in die Spielwelt nicht zu stören.

Konsequenterweise wurde für die traditionelle Funktion der Spielleitung nach neuen Wegen gesucht, die dem Anspruch und Selbstverständnis des Theaters der Vampire gerecht werden.

Die Regie besitzt daher ein Alter Ego in der Spielwelt - den Orden des Schicksals. An jedem Spielabend sind ein (oder mehrere) Gesandte dieses mysterösen Ordens anwesend. Manchmal sind sie auch Gäste bei Versammlungen einzelner Häuser.

Der Orden ist am Hof der Nacht als neutral bekannt und manche Vampire dieses Ordens dienen als hilfreiche Boten, Moderatoren, Schlichter oder geben Ratschläge.

Die Ordensmitglieder sind leicht an ihren markanten Roben zu erkennen und jederzeit im Spiel ansprechbar. Durch diese Rolle ist die für diesen Abend zuständige Regie jederzeit ansprechbar - der Orden ist sozusagen das Sprachrohr der Regieteams.

Auf diese Weise ist es möglich, Fragen an die Regie zu stellen, und diese in die Szene und das Spiel einzuflechten und Teil der Interaktion werden zu lassen - ohne das dadurch das Spiel beeinträchtigt wird.

Genauso geben die Ordensmitglieder manchmal Mitteilungen an andere Figuren, die bindenden Charakter haben und quasi als "Regieanweisung" zu verstehen sind. Spielinformationen, wie Hinweise auf bestimmte Wahrnehmungen werden von den Ordensmitgliedern in den Dialog der Rollen eingeflochten. Genauso kann man die Ordensmitglieder auf bestimmte Dinge hin ansprechen.

Ein Beispiel: Wenn ein Ordensangehöriger einem Vampir tief in die Augen schaut und sagt:"Mein Herr, mir scheint, Ihr spürt wohl einen brennenden Durst in Eurer Kehle." bedeutet das, dass der Vampir genau das jetzt empfindet und versuchen soll, es darzustellen.

Ein weiteres Beispiel: Ein Vampir untersucht einen Kelch mit einer Flüssigkeit, ein Ordensangehöriger steht dabei und sagt zu ihm:"Seht nur, wie warm dieser Kelch sich anfühlt. Nehmt Ihr auch den verlockenden Geruch wahr, denn er köstlich verströhmt? Das ist ohne Zweifel frisches Menschenblut!".


Mit ein wenig Übung und Kreativität ist es leicht, praktisch jede Information, auch Regelfragen in das Spiel einzubinden. Natürlich mag es Situationen geben, in denen eine direkte Antwort der Regie notwendig sein könnte, insofern ist dies nicht als ein absoluter Zwang zu verstehen, sondern als ein Angebot zur stimmungsvollen Gestaltung des Spiels.

Eine weitere Funktion des Ordens ist das "Anspielen" von Anfängern, die als neue Geprägte an einem Spielabend einsteigen. Da der Orden über die mysteriöse Gabe verfügt, das Schicksal und die Bestimmung lesen zu können, kommt es immer wieder vor, dass Ordensmitglieder gezielt neue Geprägte "aufspüren" und diesen eine Einladung zu einer Versammlung zukommen lassen, damit sie Teil des Hofes der Nacht werden können.

Auf persönlicher Ebene mischen sich einzelne Ordensmitglieder durchaus in "andere" Angelegenheiten ein und geben Impulse für Situationen und Szenen, zum Beispiel in dem sie das Tarot befragen oder rätselhafte Hinweise äußern.

Der Ordo Arkanum sieht sich selbst übrigens als eine Gruppe, die einer höheren Macht, dem Schicksal dienen. Daher sind sie in ihrem eigenen Selbstbild eher Beobachter, Wissenssammler und Außenseiter - sie machen keine Politik.

Abschliessend sei angemerkt, dass die verschiedenen Angehörigen dieses Ordens durchaus sehr unterschiedliche Persönlichkeiten haben - die Ordenmitglieder sind nicht nur ein Instrument der Regie, sondern darüber hinaus auch tatsächliche Rollen mit eigenen Motiven und Charaktereigenschaften.


Mercurius


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