Chroniken » Chroniken I. - Prologe: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht bis 2004
2003.10.15 - Camillas Begegnung
18.10.2004 - 11:32

Verehrte Leserinnen und Leser!

Wenn Sie meine Geschichte aufmerksam verfolgt haben, werden Sie sich sicherlich daran erinnern, dass ich über mich selbst reflektierte, nicht bloß des Nachts durch die Strassen der Stadt zu wandern, um mich zu nähren, nein, sondern auch, um jemanden zu finden, der mir hilft und mir zur Seite steht in meiner Hilflosigkeit ob der modernen, schnelllebigen Zeit.
Ich habe nun solch einen Sterblichen gefunden, meinen Gabriel, meinen "Erwählten", wie ein solcher Mensche in UNSERER Gesellschaft genannt wird.

Vielleicht interessiert es Sie, wie ich Gabriel kennen gelernt habe, denn diese Geschichte entbehrt nicht eines gewissen Charmes, jedoch muss ich ein wenig weiter ausholen und Sie noch einmal kurz in das Jahr 1999 entführen, in dem das Haus Nekrhun zu einer großen Festivität lud...

Ich besuchte also dieses Fest unter größter Vorfreude, da es mich von meiner Einsamkeit ablenkte. Was ich jedoch vorfand war für mich, nun sagen wir einmal, unbegreiflich. Es wäre zu viel, an dieser Stelle Näheres zu beschreiben, es sei nur soviel gesagt, dass ich auch nach diesem Fest immer noch allein war.

Das Schicksal in Form von Mercurius, der dem "Ordo Arkanum" angehört, sagte mir, ich solle Geduld haben, ich würde jemand besonderen finden, aber ich war es Leid, immer bloß Geduld zeigen zu müssen, obschon ich mir äußerste Mühe gab bei meiner Suche. Und so beschloss ich, mich wieder schlafen zu legen, bis vor ein paar Nächten.

Es ist mein Glück, dass die Herbst- und Winterabende sich früh in Dunkelheit hüllen, denn es macht die Nacht länger und ich kann mir auch etwas entfernter liegende Städte ansehen.

Ich befand mich nun in der großen Stadt Dortmund und lief vom Bahnhof aus über ein paar Strassen in die Innenstadt.
Zum Reisen benutzte ich von nun an diese Mietkutschen, die alle von Tieren mit cremefarbenen Panzern, die man als Automobile bezeichnete, gezogen wurden.

Ich selbst war noch nicht in der Lage, solch ein gepanzertes Tier zu führen, aber ich hatte mich an ihren Lärm und ihre Vielzahl auf den Strassen gewöhnt und ich war fest entschlossen, eines Tages selbst eines zu besitzen, denn sie faszinierten mich sehr in ihrer Form- und Farbenvielfalt, es gab schöne und hässliche, schnelle und langsame, laute und leise.

Ich hatte sogar schon Stationen gesehen, an denen diese Tiere gefüttert wurden, wie es mir schien, mit flüssiger Nahrung, die aus einer Art Schlauch kam, jedoch wunderte mich, dass sie zwar ihr großes, hartes Maul öffnen konnten, die Nahrung aber nahmen sie im hinteren Teil ihres Körpers auf. Was ebenfalls bemerkenswert war, war die Tatsache, dass die Tiere keinerlei... nun ja... Spuren auf den Strassen hinterließen, wenn ihre Nahrung verdaut war. Einzig und allein entließen ab und an sogar sichtbar ihre stechenden Gase.

Nachdem ich also das cremefarbene Tier verlassen und seinen Besitzer bezahlt hatte, schlenderte ich durch die Geschäftsstrassen Dortmunds und sah mir die Läden und Menschen an. Ich war guter Dinge und sogar gewillt, mir ein paar dieser modernen Kleidungsstücke zu kaufen, ich machte also einen Schaufensterbummel.

Plötzlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als ein sehr großes, feuerrotes Tier durch die Einkaufsstrassen raste und dabei ohrenbetäubend heulte. Die Menschen sprangen ihm aus dem Weg, seine beiden Besitzer schienen offensichtlich die Kontrolle über das Tier verloren zu haben, denn sonst durften hier, meiner Vermutung nach, keinerlei dieser Tiere laufen, zumindest hatte ich hier noch niemals welche gesehen.
Vor Angst gelähmt bliebt ich zunächst stehen und sah, wie dieses rote Ungetüm direkt auf mich zuraste. Anstelle von zwei besaß es sogar vier Augen die mich wild anstarrten und obendrein noch zwei blaue, funkelnde Hörner, die kalte Blitze auszustoßen schienen, hinzu kam dieses Kreischen...

Vielleicht spürte gerade dieses Tier, WAS ich war und wurde deshalb unruhig oder jagte mich gar, auf jeden Fall blieb es nicht stehen, so dass ich zu laufen begann so schnell ich nur konnte.
Ich bog in eine Seitenstrasse und hoffte, dass das Tier mich ob meiner Schnelligkeit nicht gesehen hatte und tatsächlich, es raste an mir vorbei.

Während ich noch lief und einen Blick über die Schulter warf, um ganz sicher zu gehen, dass es mich auch wirklich nicht weiter verfolgte, stieß ich mit einem jungen Mann zusammen und wir beide landeten recht unsanft auf dem Kopfsteinpflaster der Strasse.
Mühsam rappelte ich mich wieder auf und strich meine Kleidung glatt. Er tat dasselbe und fuhr mich einigermaßen erregt an:" Mann, kannst du nicht aufpassen, wo du hinrennst?!"

"Ich... Verzeihung, Monsieur, es tut mir wirklich Leid, aber dieses Tier... ich hatte Angst, dass es mich verfolgt... Ist Ihnen etwas passiert?"

"Welches TIER?!"

Ich wies mit meinem Arm in die Richtung, in die das Tier gerast war: "Na, dieses große rote, das so schrecklich geschrieen hat..."
Er sah mich an mit einer Mischung aus Verwunderung und Belustigung an und konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen: "Du meinst den Krankenwagen gerade?!"

"Ja, ja, natürlich den Krankenwagen!" nickte ich heftig. So hieß diese Sorte von Tier also, ich begriff, es war unterwegs zu einem Kranken, deshalb diese Eile. Wieder einmal schämte ich mich in Grund und Boden für meine Unwissenheit.

Ich sah den Jungen an, er war sehr hübsch, er besaß weiche, feine Gesichtszüge und seine klugen, braunen Augen blickten mich neugierig durch seine Augengläser an.

Er gefiel mir, aber war er DERJENIGE, der Mercurius Prophezeiung erfüllte?

Um es herauszufinden, blieb mir nichts anderes übrig, als einen Blick in seine Seele zu werfen.

Verzeihen Sie mir, aber Sie müssen wissen, dass ich nur sehr, sehr ungern Sterblichen auf diese Weise zu Nahe trete, um Dinge über sie zu erfahren, jedoch hatte ich in diesem Fall keine andere Wahl und was ich dort sah, machte mich mehr als zuversichtlich: ER WAR ES, dessen war ich mir sicher! Ich sah Güte und vor allen Dingen ... Unschuld.
Dieser Junge hatte noch niemals in seinem Leben etwas Schlechtes oder Unrechtes getan, er hatte noch nie gestohlen, gelogen oder gar gemordet. Und er erlaubte sich kein vorschnelles Urteil über mich, obwohl ich ziemlich seltsam auf ihn wirken musste, um es einmal gelinde auszudrücken.

Es schien ihm langsam aufzufallen, dass ich ihn ganz unverhohlen anstarrte und daher fragte er etwas verunsichert:" Ist was nicht in Ordnung mit mir?!"

"Ich... äh... nein, ich ... Sie sind sehr schön!" antwortete ich wahrheitsgemäß.

Er lachte aus vollem Halse: "Ja, sicher! Du gehst aber ganz nett ran ... äh... wie heißt du überhaupt?"

"Ich ... ähm... mein Name ist Camilla." Ich verstand zwar nicht, was er mit seinem letzten Satz meinte, aber ich hielt es für unhöflich, nicht zu antworten. Jetzt aber wusste ich nicht weiter, was sollte ich nun tun? Schweigend stand ich da und sah beschämt und hilflos zu Boden.

"Du bist nicht von hier, stimmts?" fragte er mich darauf in einem freundlicheren, sanfteren Tonfall.

"Ja, ich bin fremd hier..."

"Das merkt man! Übrigens - ich heiße Gabriel!"

"Hm, Gabriel, ein schöner Name!"

Nun sah er mich an und offensichtlich gefiel ihm meine äußerliche Erscheinung. "Hör zu, Camilla, ich würde mich gerne weiter mit Dir unterhalten, aber ich muss jetzt gehen. Wenn du willst, können wir uns ja mal auf einen Kaffee treffen, dann zeig ich Dir die Stadt!" Mit diesen Worten holte er seine Geldbörse hervor und zog ein kleines Kärtchen heraus, auf dem sein Name, seine Adresse und seine Telefonnummer standen.

"Ruf mich einfach an, wenn du magst, okay?!"

"Ja, das werde ich machen, danke ..."

"Gut, würde mich freuen! Also, bis dann, Camilla!"

"Auf Wiedersehen, Gabriel!"

Er ging seines Weges während ich ihm noch eine Weile einfach nachsah und dieses Kärtchen mit seinem Namen an meine Brust gedrückt hielt.

Eine innere Wärme breitet sich in mir aus, obwohl ich an diesem Abend noch nicht getrunken hatte, ich genoss dieses Gefühl in vollen Zügen und wünschte, dass es nie mehr verginge. Sie können sich nicht vorstellen, wie begeistert ich in diesem Augenblick war, ich hätte die Welt umarmen mögen. Und ich konnte es kaum abwarten, Gabriel anzurufen, um eine Verabredung mit ihm zu vereinbaren...


Alex


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