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Aus alter Zeit - eine Legende über das Haus Isis
24.09.2004 - 11:35

Vom Nil her wehte eine leichte Brise in die Stadt hinauf, als ein Junge durch die Straßen  lief.

Er war sorgsam darauf bedacht, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Sein Vater, ein angesehener Bauingenieur, hatte ihm strengstens untersagt, das Haus zu verlassen, nachdem Ra die Barke der Nacht bestiegen hatte. Doch er hatte nicht schlafen können. Und der Reiz des Verbotenen hatte ihn schließlich hinausgezogen.

An den Ufermauern hielt er inne und lauschte ein paar Wachen, die sich, über ein spärlich, von einer Öllampe beleuchtetes Senet-Spiel gebeugt, unterhielten. Da sich die Unterhaltung um eine Frau zu drehen schien, ein Thema, dass einem Jungen, der gerade seit 12 Nilschwemmen lebte, nicht interessant schien, lief er leise weiter, hinunter ans Ufer des nachtschwarzen Flusses.

Mächtig ragte das Gebirge am Horizont der untergehenden Sonne gegen den dunkelblauen, von Sternen übersäten Himmel auf. Ptah meinte, über den Fluss hinweg auch die imposanten Statuen, die den Eingang zum Tal der Tore der Pharaonen markierten, zu erkennen. Er versuchte, Steinchen auf die andere Seite zu werfen, doch das Westufer war zu weit entfernt. Bald wurde ihm dieses Spiel langweilig. Auch fröstelte ihn ein wenig und so beschloss er, über den hinteren Uferkai wieder zurück in die Stadt zu gehen. Nun doch müde geworden, trottete er am Ufer entlang, als er eine leise Stimme hörte. Gespannt hielt er inne und erspähte vor sich im Dunkel der Nacht drei Gestalten, die etwas zwischen sich trugen. Er duckte sich ins Schilf und beobachtete die kleine Gruppe. Eine der Gestalten näherte sich dem Uferkai, machte ein paar Bewegungen, die Ptah nicht erkennen konnte und ging dann in die Mauer hinein! Wie war das möglich? Ein geheimer Gang? Er hatte einen der Jungen in der Schule von Gängen unter der Stadt erzählen hören, aber gesehen hatte er einen solchen noch nie. Nachdem alle drei in der geheimen Tür verschwunden waren, schlich er sich vorsichtig näher. Ein leises Grummeln aus der Mauer ließ ihn zusammenzucken. Er bemerkte, dass sich die Tür oder die Öffnung langsam zu schließen begann. Der Junge zögerte nur kurz, dann sprang er durch die kleiner werdende Öffnung ins Dunkel. Hinter ihm schloss sich der Stein und es war jetzt um ihn völlig dunkel.

Jetzt doch ein wenig ängstlich griff er nach seinem Amulett der Mut, dass ihn vor Bösem schützen sollte und streichelte den darin eingefassten Skarabäus. Er hielt es in einer Hand ausgestreckt vor sich her, während er sich mit der anderen Hand langsam voraus tastete. Unter seinen Füßen spürte er glatten Stein, ebenso wie an den Wänden. Es schien ein Gang in Richtung Tempelbezirk zu sein, in den er hier geraten war. Da er die Tür in der Mauer nicht mehr öffnen konnte, ging er in den Gang hinein.

Es schienen Stunden zu vergehen, in denen der Junge ohne Licht durch das unterirdische Gemäuer stolperte. Schließlich war er so müde und erschöpft, dass er sich hinsetzen musste. Wohin waren wohl die drei Gestalten gegangen? Warum hatten sie keine Fackel oder Lampe angezündet? Darüber grübelnd nickte er ein.

Ein schleifendes Geräusch weckte ihn. Es kam von gar nicht weit weg und Ptah schlang mit schreckgeweiteten Augen seine Arme um seine Beine. Dann hörte er Stimmen und beruhigte sich ein bisschen. Vorsichtig stand er auf und schlich sich in Richtung der Stimmen. Vielleicht würde er dort einen Weg nach draußen finden?

Er kam an eine Abzweigung, entschied sich für den linken Gang und wurde wenig später von einem spärlichen Lichtschein belohnt, der unter einer Ritze im Fels hervorkam. Aus eben jener Ritze vernahm er auch die Stimmen. Eine Frau sang und eine männliche Stimme intonierte eine Art Gebet. Ein Gebet an Seth, wie Ptah zu verstehen glaubte. Ihn fröstelte. Der Gott der Kraft und der bösen Mächte wurde in seinem Zuhause nicht verehrt.

Plötzlich packte ihn etwas von hinten und hob ihn vom Boden. In Panik schlug Ptah wild um sich und begann zu schreien. „Ein Kind!“ zischte eine weibliche Stimme hinter ihm, „was hat ein Kind hier zu suchen“. „Verzeiht mir, edle Herrin“, rief Ptah mit zitternder Stimme, „ich habe mich verlaufen! Bitte lasst mich gehen!“. Tränen liefen ihm übers Gesicht als ihn die Gestalt, die ihn gepackt hatte auf den Boden stellte. „Lass uns Neferti fragen, was wir mit ihm tun sollen.“ schlug die Frauenstimme vor. Sie waren zu zweit, erkannte Ptah. Der Mann, der Ptah hochgehoben hatte, grummelte zustimmend und machte sich an der Wand zu schaffen. Etwas kratzte und Licht flutete aus einer größer werdenden Öffnung in den Gang.

Ptah wurde unsanft in den Raum geschubst und kniff geblendet die Augen zusammen.

Der Gesang und das Gebet waren verstummt. Zaghaft blinzelte Ptah und sah sich um. Eine Frau, so schön, wie er noch keine gesehen hatte, stand über einem Altar, der mit Blut bedeckt war. Sie trug eine weiße, edel verzierte Robe und einen Stirnreif mit dem Symbol der Isis. Daneben stand ein Mann mit geschorenem Haar, der in eine schwarze Robe gekleidet war. Um den Hals trug er das Amulett des Seth-Tieres. Seine Hände waren blutbefleckt. Ptah dachte, dass hier wohl aus einem Tier gelesen würde, als er mit Erschrecken den bleichen, wächsernen Körper eines jungen Mannes entdeckte, der auf einer Holztruhe lag. „Ptah,“ säuselte eine Stimme, die direkt aus seinem Kopf zu stammen schien, aber wohl zu der wunderschönen Frau gehörte „was treibst du so spät in der Nacht?“. Er konnte den Blick nicht von der Frau abwenden. Langsam kam sie näher auf ihn zu, berührte ihn mit einer kalten Hand an der Wange. „Du wirst uns doch keinen Ärger machen, mein kleiner, schöner Junge.“ Flüsterte die Frau und sah ihm tief in die Augen. Der Raum schien plötzlich immer enger und enger zu werden, die Augen der Frau immer größer bis sie schließlich seinen ganzen Kopf ausfüllten. Er hörte noch ein kurzes Gelächter, dann war es ganz still.

Am nächsten Morgen entdeckte ein Tuchhändler auf seinem Weg zum Markt ein weißes Bündel am Straßenrand. Neugierig beugte er sich darüber und zog den Stoff beiseite. Darunter fand er zu seiner Überraschung einen schlafenden Jungen. Der Junge war ein wenig blass, aber nach ein paar unsanften Stößen schlug er die Augen auf. „Wo bin ich?“ fragte er. „In der Stadt der Götter mein Junge, in Theben, wo sonst?“. Verwirrt blickte der Junge sich um, erkannte die Straße, sah an sich herunter und stöhnte „mein Vater wird mich schlagen!“ „In deinem Alter sollte man seine Nächte besser daheim verbringen, mein Kleiner.“ Feixte der Händler und zog unter seinem Gewand eine Phiole hervor. „Hier, nimm einen Schluck, das belebt!“. Misstrauisch nippte der Junge an der Flasche und fing an zu husten. Das Gebräu brannte in seiner Kehle und wärmte seinen Bauch. „Jetzt aber ab in die Schule, Junge!“ Erschreckt blickte der Junge zum Himmel, murmelte „so spät ist es schon!“ und fing an zu rennen. Ehe er um die Ecke rannte rief er dem lachenden Händler noch ein gehetztes „Danke,  Herr“ hinterher.

Ptah kam an diesem Tag zu spät zum Unterricht und musste daheim eine Tracht Prügel einstecken. Seltsamerweise wusste er auf die Frage, wo er sich die ganze Nacht herumgetrieben hatte, keine Antwort zu geben. Auch nach Jahren noch wurde er von seiner Familie und seinen Freunden damit aufgezogen.

In seine Träume jedoch hatte sich seither eine Gestalt eingeschlichen. Die Gestalt einer wunderschönen Frau mit einem Stirnreif der Göttin Isis.

Neferti beobachtete den Jungen, den Heranwachsenden und schließlich den jungen Mann, der als Bauingenieur im Tempelbezirk arbeitete. Seine Neugier, sein Forschergeist war über die Jahre zwar in geordnete Bahnen gelenkt worden, aber immer noch so stark, dass er sie über die Maßen faszinierte.

Bald würde sie sich ihm vorstellen und nicht länger seine Träume beeinflussen…

Diese Geschichte spielt etwa in der 18. Dynastie, also etwa 1560 bis 1070 vor unserer Zeit. Theben ist zu dieser Zeit Hauptstadt des ägyptischen Reiches. Unter der Regentschaft Amenophis und Thutmosis wurde der Tempelbezirk in Theben und Luxor ausgebaut und ausgeschmückt. Daher hat es damals wohl in Theben viele Bauingenieure gegeben.


Iseth


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