Chroniken » Chroniken XI. - Die Zeit des Schnitters: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2014
2014.12.21 - Cámara oscura
22.12.2014 - 21:55

Müde rieb sie sich mit dem Lappen über das Gesicht, betrachtete das schwarze Wasser, das heruntertropfte und über ihre rußigen Finger lief. Der Geruch klebte an ihr wie der Schmutz, doch die Erschöpfung machte sie gleichgültig dafür. Morgen Nacht würde sie wieder hinausgehen und weiter helfen. Bis dahin würden die Menschen bereits die meisten Sterblichen bestattet haben. Dario hatte einige von ihnen angewiesen Proben zu nehmen und alles bei Tageslicht zu dokumentieren. Aber die Forensik interessierte sie wenig. Nichts interessierte sie mehr besonders, seit sie in dem peruanischen Dorf angekommen waren, in das César sie vor so vielen Jahren zum ersten Mal gebracht hatte. Valentino war inmitten der Vorbereitungen für das große Weihnachtsfest hierher gereißt, als deutlich wurde, das niemand von dort ankam und sie niemanden erreichen konnten. Es war sein Hilferuf, der sie und einige andere hergebracht hatte. Doch die meisten waren im Hauptsitz geblieben, und sie war froh den Rest ihres eigenen, kleinen Hauses dort in Sicherheit zu wissen.

Die von Dario geführte Gruppe aus Sterblichen und Vampiren hatte Valentino schließlich zwischen den Trümmern gefunden. Das Bild ging ihr nicht aus dem Kopf; der weiß gekleidete Junge, voll von Asche und unterdrückter Wut und Trauer, wie die schmutzige Statue eines gefallenen Engels. Nun... seine Gefühle waren nicht lange unterdrückt geblieben. Sein Zögling und Dario hatten ihn schließlich beruhigt, ihn überzeugt, Ketten anzulegen und schließlich in die Mine gebracht, wo inzwischen ein provisorisches Lager errichtet wurde. Die folgende Bestandsaufnahme war bitter. Keine Überlebenden. Keine offensichtlichen Spuren. Nichts als Asche und verbrannte Erde...

Sie hatte schließlich Césars Kammer wiedergefunden, oder zumindest was davon übrig war. War er dort gewesen, als das Feuer kam? Wieviel von dieser Asche mochte er wohl gewesen sein? Und die anderen, Maria, selbst Isabella, ihre Linie... ausgelöscht. Tatsächlich stand nun niemand mehr in direkter Linie zwischen ihr und Mendoza. Sie hatte geweint, in dieser schwarzen Kammer, um diese Familie die sie hinter sich gelassen hatte, in der Sicherheit, dass sie doch immer da sein würde. Sie war nicht die einzige die in dieser Nacht immer wieder von Trauer und Schock gelähmt wurde, und Dario tat nichts um es zu unterbinden oder sie anzutreiben. Jeder hatte hier Freunde oder Verwandte gehabt, auch die Sterblichen. Jeder hatte sich auf das Fest gefreut, auf das Wiedersehen, bei dem es keinen Unterschied gemacht hätte, ob sie nun ihre eigene Linie führte. Man hatte sie trotzdem eingeladen. Diese Tradition bedeutete Valentino viel, und damit auch der Familie. Doch in diesem Jahr würde er keine Messe lesen, und es würde kein Chor in der Kirche erklingen. Stattdessen war es nun die Trauer, die sie vereinte, das Wissen um den gemeinsamen Verlust. Ob man das Dorf wohl wieder aufbauen würde? Vermutlich waren sie schon längst nicht mehr von der Goldmine abhängig. Vielleicht würde Dario sie verkaufen.
Was für angenehme, belanglose Gedanken...


Vania Juarez-Moreno


gedruckt am Heute, 10:23
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