Chroniken » Chroniken VIIII. - Die Zeit der Scherben: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2012
2012.11.24 - Γνῶθι σεαυτόν: Nachtgedanken
28.11.2012 - 14:56

Jetzt ist alles vorbei!

Wieder und wieder drängen sich diese Worte in meine Gedanken.

Ich sitze hier in meinen tiefsten Räumen, dort wohin mir meine Schutzbefohlenen nicht folgen und mich nicht stören. Drei Nächte nach den Ereignissen die endgültig alles verändert haben, starre ich auf eines der wenigen persönlichen Dinge die ich aus Haus Morgenrot... Verzeihung... Haus Lapis mit hierher genommen habe.

Eine einzelne getrocknete, mit Blut befleckte, weiße Calla in einer Schachtel. Lyras Brautstrauß. Der "Nächsten in der Reihe" geschenkt und viel später von Friedrich mit den bitteren Worten beschrieben: "Hüte und achte sie, aber rühre nicht daran, sonst wird sie zerfallen und wer weiß wem das schadet oder auch nützt."

Ein Abend im Haus Hardenberg also.

Als uns die Einladung erreichte war ich zunächst so beunruhigt wie ich es immer bin, wenn ich meinen Fuß auf ihren Boden setzen soll, aber schon nach kurzer Zeit stahl sich wieder dieses morbide Verlangen doch hinzugehen in mein Bewusstsein. Zumal die Einladung von Friedrich selbst unterzeichnet war und wo wenn nicht dort würde sich nun endlich klären ob er sich Michaels Körper genommen hatte, oder es nur ein Schauspiel gewesen war. Zu fragen hatte sich ja bisher keiner getraut.

Als wir dort ankamen erwartete uns Saskia die uns bestens gelaunt das schon übliche Auge im Glas servierte. Ich muss gestehen, dass mir dieser Geschmack als Sterbliche weit mehr zu schaffen gemacht hat. Aber Lilith und der arme Janus hatten schwer damit zu kämpfen.

In den Räumen selbst hatte sich nichts verändert, natürlich nicht, wir sind bei Hardenbergs! Allerdings wurde bei der Begrüßung durch die Gastgeber nun endgültig klar, dass sich Friedrich tatsächlich Michaels Körper bedient. Lyra dagegen schien heute sie selbst zu sein... oder?

Zuerst erschien die Stimmung fast entspannt, falls man an diesem Ort davon sprechen kann. Ich lernte zwei neue Gesichter kennen, Marek und seine Begleiterin Flora. Wieder zwei Einzelgänger, so wie sie es bis jetzt darstellen sogar hauslos. Ihre Anzahl nimmt doch beträchtlich zu in den letzten Nächten. Aber diese zwei sind auf jeden Fall noch mehrere Blicke wert, vor allem Flora die ich für ein im positivsten Sinne sehr giftiges kleines Pflänzchen halte.

Der ruhige Schein allerdings trog. Unmittelbar nach Michaels/Friedrichs Begrüßung erhielt Sir Archibald das Wort um endlich über das Schicksal Demians zu entscheiden, dabei fiel mir am Rande auf, dass Lothringus und Michelle Luke gar nicht erst mitgebracht hatten.
Und Archibald, statt seinen Schützling selbst zu bestrafen, gab ihn und die Verantwortung für ihn an die ab, die am lautesten nach Vergeltung geschrien hatte, Gräfin Ysadora. Und um dem ganzen noch eine Prise mehr Ironie zu verleihen bat er im gleichen "Atemzug" um die Hand der Gräfin. Es wirkt schon beinahe wie Tradition, dass in diesen Gewölben Ehen geschlossen oder zumindest Verlobungen angebahnt werden, ich bin sehr gespannt was bei der Verbindung beider Menagerien herauskommen wird. Im Märchen ist es jedenfalls keine besonders gute Idee, wenn Fuchs und Wolf sich verbünden. Meistens gewinnt da nämlich der Hase!

Nach dieser Verkündung wandte sich die Aufmerksamkeit der meisten wieder persönlichen Dingen zu. Merkte denn keiner was Saskia da tat? Störte oder beunruhigte es keinen, dass sie Worte murmelte und Zeichen an Türen und Wände schrieb? Um mich herum jedenfalls interessierte es so gut wie keinen, selbst als ich darauf hinwies, dass sich die anderen Hardenberger alle im Nebenraum befanden. Hat denn niemand etwas aus dem letzten Mal hier sein gelernt? Und reichten die Geister um uns herum nicht schon aus? Musste sie mehr rufen, hatte überhaupt jemand von denen hier unten eine Ahnung was vielleicht durch sie gerufen werden konnte?

Doch zu spät, Saskia war zu Ende gekommen und als unmittelbare Folge, sank eine fremde Geprägte die wohl vorher Alexa hieß, in sich zusammen und erhob sich wenig später als Marie. Marie? Mein Blick flog zu Lyra hinüber, aber die verhielt sich weiterhin normal, also hatte das wohl keine Auswirkungen auf sie, dass sie jetzt "allein" war. Wenn sie es war.

Wie sich herausstellte, waren plötzlich auch die anderen alle gleichzeitig hier. Also Michael, Nairu und sogar Annabell. Wie befremdlich sie alle nebeneinander zu sehen mit unterschiedlichen Gesichtern. Ich hatte mich so an die jeweilige Hülle gewöhnt. Nur Sophie trat offenbar noch immer nicht in Erscheinung. Das allerdings sollte sich bald grundlegend ändern.

In die allgemeine Verwirrung hinein, wer denn nun wer und wo drin war, formierte sich am Kopf des Raumes nämlich der neue (?) Ältestenrat, bestehend in dieser Nacht aus Sir Archibald, Eresh, Fey und Michelle. Kurz darauf trat auch noch Lawrence zu ihnen. Der Anfang ihrer Ausführungen entging mir, weil ich mich mit Marie unterhielt, ich stieß erst dazu als sie Anwärtereinladungen an die Gräfin und Lothringus verteilten. Darüber entspann sich auch direkt ein Streit unter den Mitgliedern, wer denn nun wie aufgenommen werden sollte und Lyra verlangte zu wissen, warum Sophies Platz dort unter ihnen leer geblieben sei. Man antwortete ihr Sophies Platz sei eine Selbstverständlichkeit wenn sie nur in Erscheinung träte und ihn einfordere.

Ich kann nicht sagen wer nun Recht hatte von beiden Parteien, ob Sophie überhaupt nicht geladen wurde, sie die Nachricht nicht erreichte oder wie auch immer. Jedenfalls war es ein himmelschreiender Fehler, dass sie als die letzte große, von allen anerkannte Älteste nicht dort vorne stand! Als Sir Archibald dann laut in den Raum schrie "Wo IST Sophie?" wandte ich mich flüsternd an Saskia und fragte sie ebenfalls danach. Ihre Antwort versetzte mich in helle Panik "Ich kann sie nicht finden".

Wie sollte das weitergehen? Und Friedrich? Den schien all das nur mäßig zu interessieren und bestenfalls zu amüsieren was da vor ihm ablief.
Die Diskussion des Rats ging weiter, über Gerichtsbarkeit und Anspruch und Lawrence begann sich über ein ausgearbeitetes Gesetzeswerk auszulassen, das aufgestellt worden war und dass er diese Farce nicht länger unterstützen würde. Außerdem wollte er eine Stellungnahme der umstehenden.

Die konnte er haben. Gesetzeswerk, mir trieb es die Galle hoch und auch wenn ich in dieser Angelegenheit eigentlich nichts zu sagen hatte, platzte es aus mir heraus.

Wozu Gesetze? Wir haben die die wir brauchen und es sind vier! Die Gebote der Nacht so wie wir sie gelernt haben. Der Sinn und Zweck dieser Loge war es nie ein "gewählter Bundestag" zu sein mit Stimmzettelchen und Mitspracherecht für jeden. Sondern einzig und alleine im Bedarfsfall eines schweren Gebotsübertritts der alle Häuser betrifft, sollte sie in Erscheinung treten. Als Schutzbündnis und Bewahrer der Gebote! Denken wir an den armen Sierra.

Wir brauchen keine allgegenwärtigen Richter, oder einen Rat aus allen Häusern in dem jeder sitzt, der von sich behauptet ein Ältester zu sein. Dafür hat jedes Mitglied eines Hauses auf die Gesetze seines Ältesten geschworen und ihm oder ihr alleine obliegt es normalerweise Recht in seinem Haus und auf seinem Boden zu sprechen!

Wenn wir so weitermachen wie das gerade beginnt, dann können wir auch gleich den albernen Forderungen des sogenannten "Ordo Vigil" nachgeben und auch noch einen Humanitätsvertreter und Sprecher für Menschenrechte in den Rat wählen.
Das ist nicht meine Welt, ich will keine Demokratie!

Lawrence jedenfalls erklärte seinen Austritt aus dieser Loge und zog sich zurück. Und ich selbst wünschte mir in diesem Moment nichts sehnlicher als dass Nekhrun zurückkehren, Isidor aus seinem Schlaf erwachen, Sophie auftauchen oder Friedrich endlich etwas vernünftiges sagen würde um diesem ganzen Irrsinn ein Ende zu machen!

Aber weil man nie alles gleichzeitig haben kann geschah nur eines von all diesen Dingen. Sophie erschien! Und schlagartig verstummte der ganze Saal, wo sie gewesen war, was sie erlebt hatte, ich wollte es nicht wissen. Aber sie war zurück! Was man ihr von den Dingen erzählt hat die geschehen waren, was sie ohnehin schon wusste, ich weiß es nicht. Jedenfalls muss sie sich dafür entschieden haben zu bleiben. Allerdings ganz anders als man das zu diesem Zeitpunkt noch zu hoffen wagte.

Sophie würde bleiben, aber ihre Hülle nicht. Sie wählte aus dem Raum drei Vetreter aus, nämlich Lawrence, Ysadora und Krieg, diese bildeten einen Kreis und tranken den Körper der Sophie bisher beheimatet hatte, bis fast zum letzten Schluck leer. Doch dieser letzte, der war für Lyra und somit auch das Geschenk und die Bürde ab jetzt Sophie in sich zu tragen!

Ich bin fassungslos! Noch immer schaffe ich es kaum die Tränen zurückzuhalten, wenn ich daran denke.
Wird Lyras Körper stark genug sein und es verkraften sie alle in sich zu haben? Man hat uns verflucht und wir haben es wohl verdient. Was uns ab jetzt erwartet kann keiner sagen. Es steht nur fest, alle die betroffen sind müssen schnell handeln, sonst ist alles vorbei so wie wir es kannten.

Ich starre auf die Blume in der Schachtel und erwäge sie tatsächlich zu berühren...


Eleonore


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