Chroniken » Chroniken VIIII. - Die Zeit der Scherben: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2012
2012.11.24 - Γνῶθι σεαυτόν: Hof der Ruinen
28.11.2012 - 22:49

Komm mein Volk und schließ die Tür nach Dir,
für eine Macht die kommen wird,
um die Sanftmütigen für ihre Ungerechtigkeit zu strafen.

Denn bald schon, bald, wenn das Rad sich fügt,
wird eine fremde Kraft über Dich kommen,
zu Fordern was ihr zusteht.

Und es wird ein Ende und ein Anfang sein.



K ö n i g s s p i e l. Nach all der Zeit. Zurück am Hof der Nacht. Ich kann es nicht greifen, ob ich mich gefreut habe. Freut man sich seine Ex zu treffen? Hat man Angst noch Gefühle für sie zu entdecken?

Sie nennen es die Zeit der Scherben an diesem Hof. Und doch sind Scherben etwas poetisches. Etwas in dem man sich noch immer selbst wiederfinden kann, wenn auch verzerrt und schemenhaft. Am Ende der Nacht werde ich auf einen Hof zurückblicken der kaum mehr ist als ein Schatten seiner selbst.

Wohin seit ihr entflohen? Wo seit ihr, deren Namen mich an diesen verfluchten Ort gelockt haben? Isidor! Nekhrun! Sophie! Ehe der Abend vergeht wird der letzte meiner drei mit ihm hinfort geschlichen sein. Zeit der Ruinen werden die Worte sein die ich dafür finde wenn das Morgengrauen dann wahrhaft gekommen ist.

Ich folge den Worten die ich vor langer Zeit in die Schatten geflüstert habe in die Katakomben des Hauses Hardenberg. Nein, in die Ruinen eines Hauses Hardenberg. Einige Nächte schon begleiten mich meine Worte, die Erwählten dieser Städte haben sie gewispert, die Vampire sie geträumt. Sie sind überall und doch nirgends. Gesprochen vor langer Zeit.

Das erste was mir gereicht wird in diesem kärgsten aller Empfangssäle die ich je betreten habe schlage ich sogleich aus. Sie nennen es Aperitif, ihren Gästen treibt es den Ekel in die Augen. Haus des süßen Todes nennt man sie. Und doch empfangen sie uns als wären wir Teil einer Groteske, als müsste man uns schockieren. Als könnte man das je, mit etwas das auf so profane Art Horror in mir wecken soll. Begreift ihr denn nicht was ich bin? Empfangen als wäre ich ein Mensch, im Hause eines Vampirs. Sie wünschen sich das ich ihren Abend angewidert betrete, so sei es denn. Dies sei mein erstes Geschenk an meine Gastgeber.

Meine Schritte führen mich vorüber an der Kerzengesellschaft, vorbei am ersten Festgewölbe. Schal dekorierte Tische, Neugierige Gestalten. Ein gesichtsloser Diener hinter der Theke. Eine gesichtslose Gesellschaft im Raum. Irgendwo eine Unsterbliche (Beute!) mit zerrissener Strumpfhose.
Noch sind sie alle blass, noch sind sie bedeutungslos. Ihre Namen müssen sie sich erst verdienen. Einen Lidschlag lang habe ich nur Augen für sie. F l o r a. Sie strahlt in dieser Nacht. Wer ist es gewesen der ihr nach all dem Leid das Lächeln zurückgegeben hat? Sie ist die Sonne dieser Nacht. Ich bin gespannt wer sich an ihr verbrennen wird.

Ich bin der Stolz!

Wir sind ein ungleiches Paar. Sie ist so voller Leben, Unsterblich und doch im Rausch der Ewigkeit gefangen, bereit noch immer jedes Gefühl in vollen Zügen auszukosten. Ihr Haar ist rot wie Winterfeuer, wie heiße Januarglut. Rot wie die Sünde. Und doch sind ihre Locken gebändigt, züchtig beinahe. Das Raubtier hinter der Maske habe ich mehr als einmal gekostet. Fragt jene die sich in ihr verloren haben nicht nach ihrer Zukunft, denn es ist keine die ihr mit ihnen teilen wollt.
Ihre Hand gehört mir in diesem Augenblick, und bin ich auch nur ein Schatten meiner selbst, heute Nacht, auf diesem Parkett, bin ich ihr schwarzer Prinz.
Schritt um Schritt fort aus dem Kerzenschein, hinüber in die Finsternis des anderen Gewölbes. Hinein in eine andere Zeit, in eine Epoche von Scheinwerfern und grellem Licht. Ein Raum gebadet in Musik. So trist und unscheinbar das ich sie kaum wahrnehmen will. Doch sie ist da und begleitet unseren Tanz.
Wir tauchen ein in die Nacht. Meine Instinkte regen sich. Feines Parfum. Schleier von Blut. Verhaltenes Kichern. Fetzen von Häme und Lüge.

Ich bin die Gier!

Das klirren von Gläsern. Rascheln von Ballkleidern, Tiefe Dekoltées. Die Aromen früherer Nächte. Das erste Glas Absinth dieser Nacht. Ich gerate in Hochstimmung und muss mich zügeln.
Wir suchen nicht den Hof, er ist es der uns findet. Die Neugier beschert uns ein Gefolge. Ich erkenne das ich heute Nacht nicht mehr allein sein werde, solange ich das nicht will. Sie kommen um uns auszuhorchen, und doch lassen sie keine unserer Fragen unbeantwortet. Wo sind ihre Masken? Ist dieser Hof vielleicht wahrhaft verloren, das man ohne sie überleben kann?
Zwei Menschen begleiten uns. Sie sind laut, unausstehlich. Ich blicke mich um und mir wird bewusst das unser Gastgeschenk den Herren dieser Nacht kaum behagen kann. Es weckt kein Bedauern in mir. Er ist es der sich versteckt. F r i e d r i c h. Um die Bühne in einem Höhepunkt zu betreten. Ein leidlicher Schauspieler ist er, ein noch leidlicherer Redner. Sein Auftritt misslingt, und die beiden Menschen ringen ihm kurz darauf keine Regung ab. Ob sein Gefolge die Geste verstehen wird? Ich erwische mich dabei daran zu zweifeln.

Ich bin die Trägheit!

Die Nacht bleibt uneröffnet. Die Worte des Gastgebers sind bereits verblasst. Es sind die Ältesten die zusammenfinden um zu ihrem Volk zu sprechen. Degenerierte leere Hüllen die ihr seit. Nun da sie sich offenbart haben werde ich mich bis zum Ende der Nacht fragen wo sie ihr Gefolge verborgen haben. Kaum ein Haus das mir nicht wie eine Ruine seiner selbst erscheint. Was hat die Zeit aus euch gemacht ihr zeitlosen Wesen?
Eine Rede prasselt auf uns ein. Der Mann der spricht hat meinen Respekt. A r c h i b a l d. Nicht für das was er in diesem Moment sagt, er wird ihn sich später noch erwerben. Weil er die Kunst der Worte im Zwiegespräch versteht. Leider nicht wenn der Hof ihm lauscht. Er wählt allzu viele davon. Einer nach dem anderen wendet sich von ihm ab, leise kichernd mancher gar. Mein Blick schweift umher; ich sehe keine Furcht vor den Ältesten, ahne nichteinmal Respekt. Wo der Hof ihnen voller Ignoranz den Rücken kehren kann und sie es dulden müssen, da offenbart sich ihre Machtlosigkeit. Am Ende ist es einer der ihren der sich demaskiert, und damit auch die anderen seiner Zunft. L a w r e n c e. Ich glaube seine Maske hat noch im Morgengrauen zertreten in der Ecke gelegen. Und doch war seine Stärke ihre Schwäche. Ob ihre Stärke jemals seine Schwäche werden wird? Heute will ich noch nicht daran glauben.
Und doch da ist eine von ihnen, mit einer Aura, in dieser Nacht gefangen im Netz eines anderen, eine Anverlobte nun. Und doch hat sie ihren ganz besonderen Reiz.

Ich bin die Lust!

Interessante Augen. Kalt und tot. Ihre Stimme verletzlich und doch stark zugleich. Y s a d o r a. Ich werde sie einige male sehen heute Nacht. Meine Aufmerksamkeit findet immer wieder zu ihr zurück. Wort um Wort. Etwas hat sie an sich das mich bannt und doch zugleich verbannt. Ein Rätsel von dem ich gespannt bin ob es sich enträtseln lässt, ehe es belanglos wird. Ich bemerke Blut in ihrem Dekoltée und bin versucht von ihr zu kosten. Und mäßige mich. Ich suche mir zurechtzudeuten, dass ich es mir für später aufheben will. Das dieser Trunk ausgekostet werden will. Doch ich weiß es besser und grolle darüber. Und ist es hundertmal reizvoll, diesen Preis ist es heute Nacht nicht wert.
Ich entfliehe der Gräfin aus dem Süden. Zurück zu ihr allein, die sich den Platz an meiner Seite verdient hat, durch Schmerz, Vergebung und grenzenloses Leid.
Umringt von den Geistern des Hauses finde ich sie wieder, eingepfercht, behütet nur von einem Vampir den sie sich als Beute auserkoren hat. T o m m y. Charmanter kleiner Welpe mit reizendem Lost Boy Charme. Dennoch ist er kein Plagiat. Leichtfertig spricht er. Allzu leichtfertig wie sich einen Lidschlag darauf erweisen soll.

Ich bin der Zorn!

Seine Kehle liegt in meinen Händen. Meine Augen fauchen ihn an. Köpfe wenden sich zu uns. Kurz droht mir mein zerstörerischer Schatten zu entgleiten. Ich könnte ihn auslöschen. Jetzt und hier. Die Schatten flüstern es mir zu. Und weil ich es kann, brauche ich es nicht zu tun entgegne ich. Er wird diese Schwelle nicht noch einmal überschreiten. Also gebe ich ihn frei. Gnade. Manche mögen es für die schlimmste aller Strafen halten. Ich fühle mich einen Augenblick lang schwach. Worin läge auch der Glanz, es dem Schicksal zu überlassen wen es trifft? Wenn man schon zum Mörder wird, so schuldet man es dem Opfer wenigstens es erwählt zu haben.
Stunden später wird mein Raubtier ein zweites mal erwachen. Einer von ihnen ist ein Ältester. L o t h r i n g u s. Zwei Raubtiere sehen sich an in diesem Augenblick. Zum ersten mal in dieser Nacht erkenne ich einen Hauch von Stärke in dem der sich selbst dient. Vorher war er mir wie ein Lakai erschienen. Ein Ältester der keinen Diener hat, und immerzu für sich selbst wandeln und sprechen muss. Die Konfrontation ist kurz aber heftig. Der Wolf und die Schlange. Diesmal schlägt die Schlange den Wolf. Seine Verhaltensänderung bleibt nicht unbemerkt, seine Entschuldigung verhallt nicht ungehört.
Und bald darauf ein drittes mal. S i n. Der die Sünde im Namen trägt und sie doch rächen will. Da er sie nicht ertragen kann, wenn er selbst es ist, der ihr zum Opfer wird. Als wir beide weichen, und ich meine Begleitung in die Arme schließe um den Schmerz zu lindern begreife ich das er stark sein kann wenn er will. Warum hat er in dieser Nacht die Schwäche gewählt? Er hat meinen Respekt. Es ist die Neugier die mich zu der Frage treibt wer als erster die Grenzen des anderen überschreitet. Nun da wir kurz auf der Rasierklinge getanzt haben und sie kennen.
Ich fühle mich wie ein Wolf unter den Schafen. Die Bestien hier scheinen viel vergessen zu haben.
Drei sind es also gewesen in dieser Nacht. Drei die sich an ihrer Sonne verbrannt haben. Keinen habe ich zerbrochen. Bin ich etwa maßvoll geworden? Nein ...

Ich bin der Neid!

Und doch gibt es keinen hier dessen Platz ich einnehmen will. Immer wieder schleicht mein Blick umher, ebenso wie der schweigsame Beobachter der immer wieder uns umschleicht. Er begrüßt mich. Fragt ob ich an diesem Hof bleiben werde. Er ist kein Narr. Seine Augen sagen; untersteh dich. K i e r o n. Ich erwäge ihn zu kosten. Mir einen Hauch von seinem Neid zu nehmen. Ihn seiner Maske zu entreißen. Um ihn zu fühlen, auch in dieser Nacht. Doch dann finde ich meinen eigenen. Wie so oft in ihr. Ausgerechnet in ihr die mir den Neid als meine größte Sünde vorwirft. Kennt sie mich besser als ich selbst? Oder ist der Wunsch allein der Vater des Gedankens? Ihr Lächeln lockt mich an. Und alles an ihr strahlt den Exzess aus. Ich fühle das man sie gekostet hat, und sie von einem anderen. Und finde mein Opfer wieder. Den verlorenen Jungen den sie schon früher auserkoren hat. Ich reiße ihn fort (Beute!), spiele mit ihm, sehe meinen Worten dabei zu wie sie durch seinen Geist fließen. Er versteht mich nicht. Weiß nicht was ich will als ich ihn zu ihr zurück treibe. Erneut von ihr zu kosten. Er fragt mich ob ich etwas brauche. Mehr als du mir geben könntest. Du würdest mir nicht einmal eine Nacht reichen.

Ich bin die Völlerei!

Meine Hand, meine Stimme, mein Wille führen ihn zu ihr. Sein Erstaunen versetzt mich in Erregung als er begreift. Als er erneut von ihr kostet. Närrisches, schutzloses Raubtier. Dachtest du ich lasse dich so einfach gewähren. Er ist wehrlos als meine Fänge in seinen Hals fahren. Zartes, unerbittlich süßes Welpenblut. Der Hauch der Menschlichkeit haftet dir noch an.
Er ist ein Wilder. Ohne Stand. Wurde auf dem Altar der Nacht geschändet. Und hat es freiwillig erduldet. So oder so, sein Requiem droht zu erklingen. Sein Schein beginnt zu flackern. Rinnt mit jedem Tropen Blut über meine Lippen aus ihm heraus. Ich lasse von ihm ab. Und schenke ihm ein Leben. Nicht im jetzt, sondern in der Zukunft. Der Darsteller des Ketzers ward gefunden, und hat den Altar entweiht auf die süßeste aller Weisen. Viel zu reizvoll ihm die Absolution zu verweigern.

Ich bin die Sieben!

Es muss schon lange nach Mitternacht sein. Ich habe alle die Leere hinausgetanzt. Erneut wird mir meine Begleitung zur Gefährtin. Zu zweit sind wir über das Parkett getobt, stolpernd, fauchend, drehend. Ein Schatten in zwei Körpern, ein Zorn in zwei Leibern, ein Gedanke von Hass und Sünde, geschmolzen in zwei Seelen. Vom Anbeginn bis zum Ende.
Noch immer wissen sie nicht wozu ich imstande bin. Keiner von ihnen hat die Zeichen erkannt. Keiner mein Licht gesehen, keinen meinen Weg beschritten und keiner in meinen Schatten geblickt.

Der Sand der Zeit ist verronnen. Der Morgen wird schon bald über uns kommen. Viele wurden mir vorgestellt. Jeder fragte mich ob ich an diesem Hof bleiben werde. Möchte man es oder fürchtet man es?
Es sich zu wünschen wäre Narretei, aber Vampire sind Narren.


Marek


gedruckt am Heute, 12:48
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