Chroniken » Chroniken VIIII. - Die Zeit der Scherben: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2012
2012.10.20 - Tango Notturno: Brief an eine alte Bekannte
27.10.2012 - 14:12

"I was on my way to this gay Gipsy Bar-Mitzvah for the disabled when I suddenly thought:
'Gosh, the Third Reich's a bit rubbish, I think I'll kill the Fuhrer!"
(Dr. River Song, Doctor Who 6.6)


Liebe Lilliana,

obwohl Du seit dem "Sangre y Juegos" nicht mehr bei Hofe warst, weiß ich, wie sehr Dich besondere Abende bei uns interessieren. Und bei der Göttin, dieser Abend war der Knaller! Im wahrsten Sinne...

Es begann plötzlich. Gerade hatten wir uns möglichst unschick angezogen, um den Tangoabend/die Nach-Hochzeits-Feier zu boykottieren, da wurden wir bereits wie durch Zauberei zu einem urigen Tanzlokal gebeamt.

Zur Eröffnung gab es eine Ansprache unserer Gastgeber, Herr Pfeiffer und Fräulein Schmidt, die jetzt Frau Pfeiffer heißt? Hatte ich Dir erzählt, dass die beiden aus der Nazizeit stammen und diesen "gesitteten" Tagen hinter her trauern? Na, jedenfalls hast du jetzt eine grobe Vorstellung von dieser würgereizenden Ansprache. Dieser folgte die Präsentation ihrer schmierigen Freunde, die zu Besuch waren.
Der nächste Höhepunkt war Gräfin Ysadora, die entschlossen verkündete, dass jeder Mensch, der uns so betrügt wie Demian, auf der Stelle abgeschlachtet wird. Um ihre Drohung zu untermauern, trank sie sogleich einen ungünstig Herumstehenden aus. Ups.

Rupert hatte einen besonders schweren Stand an diesem Abend, denn er hatte sich ohne einen schützenden Angehörigen seines Hauses auf die Party getraut. Das hat er sicher bereut, denn eine seiner braungesinnten Tanzpartnerinnen hat ihn am Ende erschossen!

Ein weiterer Angriff des "Nazipacks", wie Pia sie nannte – auf die ich gleich zurück komme – betraf das niedliche Äffchen der Gräfin, das sich erneut eingefunden hatte und übrigens Max heißt. Einer der Gäste schoss ihm einfach in den Fuß, ohne Provokation! Nur damit sein Herr Max anbinden konnte, weil sie ihn nicht als würdig erachteten, in unserer Gesellschaft zu sein. Solche ignoranten, hochnäsigen, widerwärtigen Wesenheiten, die es wagen, sich Menschen zu schimpfen, sind mir wirklich noch nicht untergekommen. Ich habe am Hof schon einiges gesehen, was mir die Galle hochtrieb, aber an diesem Abend lief das Fass hoffnungslos über. Bestialisch diese Nazis. Den halben Abend stand ich mit offenem Mund da ob dieser Dreistigkeiten und sah bestimmt sehr dämlich dabei aus. Aber zurück zum Thema.

Pia, ja, ich hatte Dir erzählt, dass sie wieder auf Haus Mo Lapis weilt und ich sehr gespannt auf die ehemalige Geliebte meines Auserwählten war. Die letzten Wochen hatten wir bisher nur wenig Kontakt, da sie alles verpasste aufholen musste, aber gestern waren wir zwei Sterblichen unter uns und was haben wir uns amüsiert! Wir haben uns fabelhaft verstanden. Dank ihr konnte ich diesem grauenvollen Abend noch etwas Positives abgewinnen. Wir haben getrunken, mit Rowena, Max und Klara gesprochen, über Sin getratscht und uns kennengelernt. Und wir waren ständig zusammen auf der Flucht.
Eine brenzlige Situation gefällig? Astarte hatte uns kurz allein zurück gelassen und wir saßen auf einer Couch, als zwei Nazis an uns vorbeimarschierten. Dazu musst du wissen, Pia ist Jüdin und hatte daher gewisse Probleme, sich mit den Gastgebern gut zu stellen. Na, jedenfalls, die Nazis gingen vorbei und wir machten uns unsichtbar, als auch noch zwei Hardenberger folgten. Zum krönenden Abschluss kam Saskia auf uns zu, die uns schon den ganzen Abend belauert hatte und wir beschlossen, auf drei durch die Mitte nach draußen zu fliehen, wo Sin sich unterhielt. Das war eine Aktion! Aber wir haben es überlebt. Offensichtlich. Mit viel Gekicher.

Ein weiteres Amüsement meinerseits stellte eine ältere Dame mit Hornbrille, Bubikopf und Schlabberstrickjacke dar, denn ihr Accessoire war ein Rohrstock und sie empörte sich unaufhörlich über die unsittlichen Zustände am Hofe. Ich habe mir einen Spaß daraus gemacht, ihr als schlechtes Beispiel zu dienen und sie zu bitten, ihren Rohrstock an mir zu testen. Sie hat entsetzt die Backen aufgeplustert und ward fortan ruhig gestellt. Aber die kommt bestimmt wieder. So ein Nazipack kann den DEUTSCHEN Hof doch nicht so verkommen lassen. Tsst! Ich freue mich auf ihren Gesichtsausdruck beim Anblick meines Minirockes. Hehe.

Und dann folgte der Zwischenfall mit Rupert. Das Dreiste: nach begangener Tat ging seine Mörderin nonchalant von dannen, zerlegte im Laufen die Waffe und deponierte diese auf einem Fensterbrett. Derweil starb Rupert vor sich hin. Das tat mir wirklich Leid, mir war den Rest der Nacht fürchterlich übel. Er war ein netter Kerl und hatte so einen herrlich trockenen Humor. Als Belohnung ist die Attentäterin jetzt Erwählte beim Ordo Proxima. Aber daraus wird wohl nichts, denn jetzt ist es an Sir Archibald über ihr Schicksal zu entscheiden. Und dabei hatte sie so eine schicke Frisur.

Das war nicht der letzte Tote. Weitere Menschen starben, insgesamt habe ich 5 gezählt. Und Viktoria, eine Vampirin der Chimären, wurde schwer verwundet und muss sich für längere Zeit erholen. Ihr punkiges Aussehen erregte wohl das Missfallen der Herrenrasse. Heftig!

Zum krönenden Abschluss wurden kostenlos Wünsche verteilt. Du weißt, ich bin von Wünschen immer begeistert, aber beim Ordo kommt die Erfüllung mit einem sehr hohen Preis. Hier jedoch nicht.
Einer der Anwesenden, der Ire Salvatore – ich erzählte Dir von dem langhaarigen Mafioso? – erhielt einen Wunsch, weil er seine Tanzkarte komplett ausgefüllt hatte. Jeweils 3 Tangos mit 7 Partnerinnen, eine Mammutaufgabe bei all den Ablenkungen in dieser Nacht.
Zusätzlich schüttete "Fortuna ihr Füllhorn" über einem oder einer Glücklichen aus, einfach so. Und es traf unsere Eresh! Wo der Ordo ihr doch letztes Mal so ein unverschämtes Angebot unterbreitet hatte, bekommt sie nun die Chance, ein Geschenk völlig ohne Gegenleistung zu erhalten. Sowas! Gut für uns, schätze ich. Nur mit welchen Konsequenzen... Wünsche ohne Gegenleistung sind ja schön, aber auch der Ordo Proxima kann nichts aus dem Nichts erschaffen.

Der Abend endete, wie er begann: mit einem plötzlichen Knall. Nach einem "Ultimo Tango" der Gastgeber fanden wir uns plötzlich wieder zu Hause wieder. Am Liebsten würde ich mich mit den anderen hier vergraben, aber die Konsequenzen von Ereshs Wunsch werden uns bestimmt bald einholen...

Es bleibt wie immer spannend, meine Liebe.

Grüß mir die Autoren und bis bald!

L.


"Denn sie können ja nicht wissen
Was da zwischen Tag und Morgen
in der nächtlichen Taverne
bei dem Tango schon geschah..."
(Kriminaltango)


Lilith


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