Chroniken » Chroniken VIII. - Die Zeit des Kreises: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2011
2011.07.30 - Initiation: Asche im Wind
31.07.2011 - 17:43

Es interessiert mich nicht, womit Du Deinen Lebensunterhalt verdienst.
Ich möchte wissen, wonach Du innerlich schreist
und ob Du zu träumen wagst, der Sehnsucht Deines Herzens zu begegnen.


Rauch stieg auf über dem alten halb verfallenen Anwesen. Mannshoch war der Holzstapel aufgeschichtet worden, auf dem die toten Körper lagen, die langsam schwarz wurden in den Flammen des Scheiterhaufens. Es roch nach verbranntem Fleisch.

Es interessiert mich nicht, wie alt Du bist.
Ich will wissen, ob Du es riskierst, wie ein Narr auszusehen,
um Deiner Träume willen und für das Abenteuer des Seins.


Klagendes Wolfsgeheul erklang in die Nacht. Der Wind trug den Rauch langsam ostwärts in Richtung der aufgehenden Sonne.

Es interessiert mich nicht, welche Planeten im Quadrat zu Deinem Mond stehen.
Ich will wissen, ob Du den tiefsten Punkt Deines eigenen Leids berührt hast,
ob Du geöffnet worden bist von all dem Verrat,
oder ob Du verschlossen bist aus Angst vor weiterer Qual.


Mit ihm ging eine leise weibliche Stimme, tief und heiser. "Und so lass ich Euch ziehen mit dem Wind. Kehrt heim zu den Ahnen. Ihr werdet einen Platz in unseren Geschichten bekommen. Und so lass ich Euch ziehen, weil ich es muss."

Ich will wissen, ob Du mit dem Schmerz dasitzen kannst, ohne zu versuchen, ihn zu verbergen oder zu mindern oder ihn zu beseitigen.

"Warum?", laut wurde die Frage in die Nacht gerufen, ohne die Erwartung einer Antwort.
Langsam fiel das verkohlte Fleisch von den Knochen, während die Gestalt regungslos am Feuer stand. Ganz nah, so dass die Hitze schmerzhaft auf der Haut brannte und ihre tierischen Züge flackernd rot beleuchtet wurden. Das Feuer spiegelte sich in ihren gelben Augen...oder war es das innere Feuer wilder Wut, welche aus ihnen heraus leuchtete?

Es interessiert mich nicht, ob die Geschichte, die Du erzählst, wahr ist.
Ich will wissen, ob Du jemanden enttäuschen kannst, um Dir selber treu zu sein.
Ob Du den Vorwurf des Verrats ertragen kannst und nicht Deine eigene Seele verrätst.


Erneut legte die Gestalt den Kopf in den Nacken und Wolfheulen kam aus ihrer Kehle. Von den Mauern des nahen Anwesens schallte es zurück. Der stärker werdende Wind, der sich in den Giebeln des Hauses verfing, gab seinen Laut hinzu, erfüllte die Nacht mit klagenden Tönen.

Ich will wissen, ob Du vertrauensvoll sein kannst und von daher vertrauenswürdig.
Ich will wissen, ob Du Schönheit sehen kannst,
auch wenn es nicht jeden Tag schön ist
und ob Du Dein Leben aus der Gegenwart speisen kannst.


Die Stimmen verstummten. Nur noch schwarze Knochen waren im Feuer zu erkennen. Die Gestalt wandte sich um, richtete den Blick in die Dunkelheit des Waldes. Sie schloss die Augen und witterte in den Wind. Dann rannte sie los, ohne Rücksicht auf Pfade und Wege, direkt in den Wald.

Ich will wissen, ob Du mit dem Scheitern leben kannst und trotz allem am Rande des Sees stehen bleibst und zu dem Silber des Vollmondes rufst: "Ja!"

Schneller und schneller rannte sie, ohne Rücksicht auf Äste und Zweige, die wie Finger nach ihr griffen, sie aber nicht aufhalten konnten. Sie spürte den Wind auf ihrer Haut, der sie von außen kühlte, während das innere Feuer sie weiter trieb.

Es interessiert mich nicht, zu erfahren, wo Du lebst und wieviel Geld Du hast.
Ich will wissen, ob Du aufstehen kannst nach einer Nacht der Trauer und der Verzweiflung,
erschöpft und bis auf die Knochen zerschlagen,
und tust, was für Deine Kinder getan werden muss.


Er lief ihr direkt entgegen, der Eber. Als hätte er sie erwartet, als würde er sie empfangen zum Kampf. Ein Knurren kam aus ihrer Kehle, bevor die beiden Körper aneinander prallten, sich ineinander in wildem Kampf verkeilten. Hauer und Fänge suchten nach Fleisch, rissen Wunden, die sich zu schnell wieder schlossen. Die Erde wurde feucht und matschig vom Blut der Kämpfer, welche scheinbar ungeschwächt weiterkämpften, einer alten Sehnsucht folgend.

Es interessiert mich nicht, wer Du bist und wie Du hergekommen bist.
Ich will wissen, ob Du mit mir in der Mitte des Feuers stehen wirst und nicht zurückschreckst.


Langsam kündigte ein heller Streifen fern am Horizont den Sonnenaufgang an. Das Feuer war erloschen, nur sanfte Glut knisterte noch zwischen den verbrannten Hölzern. Die Knochen waren zu Asche verfallen, vom Wind ineinander verweht, als wollte er sie im Tode vereinigen.
Tief im Wald lösten sich die Kämpfer voneinander und sahen sich in die vertrauten Augen. Beide wussten, dass es nicht vorbei war. Es würde nie enden. Doch für heute war es genug.

Es interessiert mich nicht, wo oder was oder mit wem Du gelernt hast.
Ich will wissen, was Dich von innen hält, wenn sonst alles wegfällt.
Ich will wissen, ob Du allein sein kannst und in den leeren Momenten wirklich gerne mit Dir zusammen bist.


Er war verschwunden, wie er gekommen war. So war es jedes Mal. Sie richtete den Blick in Richtung der langsam aufgehenden Sonne in Erwartung des Schmerzes, den sie ihr bringen würde. Noch ein letztes Heulen kam aus ihrer Kehle, dann rannte sie wieder los...nach Westen in Richtung Dunkelheit.


Cay


gedruckt am Heute, 16:55
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