Welt » 3. Wandel der Nacht- Zeitalter und Epochen
3.6. Imperialismus - Viktorianik und Industrialisierung (1848-1914)
11.07.2004 - 23:24

"Was die Menschen Zivilisation nennen, ist der Zustand gegenwärtiger Sitten; was sie Barbarei nennen, das sind die Sitten der Vergangenheit."
(Anatole France, frz. Schriftsteller, 1844-1924)


Im Schein eines prasselnden Feuers saß Leon über seiner Korrespondenz.

Er nahm einen schweren Umschlag zur Hand und öffnete ihn behutsam. Dieser enthielt einen Brief, sowie einige verblichene Fotografien. Leon entfaltete den Brief und begann die Zeilen zu lesen.

„Mein lieber Leon, ich schreibe euch diese Worte in höchster Eile. Meine persönliche Situation hier im Land hat sich drastisch verschlechtert. Überhaupt gerät alles ausser Kontrolle. Die Bevölkerung gerät immer mehr in verheerende Konflikt untereinander. Es ist kaum noch jemand sicher hier. Ich versuche das Land zu verlassen und zu euch zu gelangen. Wenn es mir gelingt, so werden wir uns im August treffen. Anbei sende ich Euch einige Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit hier. Hoffentlich bis bald, Eure Konstanze.“

Leon legte den Brief zur Seite und betrachtete die Fotos. Auf ihnen sah er seine Erwählte und sich selbst, umgeben von einigen Eingeborenen. Auf der Rückseite stand eine Widmung. „In ewiger Freundschaft, Konstanze. Belgisch Kongo 1891.“

Leon blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Hinter den Eisblumen wehte der Wind neuen Schnee ans Haus.


a.) Herrscher und Kriege

- Königin Viktoria (*1819/1837-1901) beherrscht das British Empire und wird damit zur mächtigsten Frau aller Zeiten, für die britischen Kolonien spricht man für diese Zeit vom viktorianischen Zeitalter, welches mittlerweile stark verklärt positiv betrachtet wird (gute alte Zeit), aber durch Prüderie Kunst und Wissenschaft Groß-Brittaniens stagnieren ließ, doch die Außenwirkung Englands jener Zeit kann gar nicht unterschätzt werden

- Der amerikanischer Bürgerkrieg (1861-1865) teilt Nord- und Südstaaten. Der industrielle Norden verlangte vom plantagenreichen Süden die Abschaffung der Sklaverei, doch wurde dies erst in der zweiten Hälfte zum offiziellen Kriegsgrund erklärt, eigentlich ging es um unterschiedliche Meinungen zu den Rechten von Einzelstaaten. Abraham Lincoln gelang es die Vereinigten Staaten wieder zu einen und schaffte somit, keineswegs aus Philanthropie, die Sklaverei ab, fiel allerdings 1865 einem Attentat zum Opfer

- 1871 wird unter Wilhelm I. (*1797/1861-1888) und Reichskanzler Otto Eduard Leopold Fürst von Bismarck (1815-1898) das deutsche Kaiserreich als kleindeutsche Variante (ohne Österreich) ausgerufen. Der konservative Politiker betreibt eine stabile Außenpolitik und ist zugleich Sozialreformator

- Die russischen Krimkriege (1853-1856) gegen das Osmanische Reich werden geführt, doch Frankreich, Großbritannien und das neue verbündete Italien unter Sardinien fürchteten eine europäische Vormachtsstellung Russlands und beendeten damit den Krieg

- Während 1876 nur etwa 10% Afrikas in europäischer Hand waren, wurden bis 1902 etwa 90% (bis auf Teile der Mittelmeerküste alles) unter den Europäern aufgeteilt – die dabei entstandenen künstlichen Grenzen teilten Völker und sind verantwortlich für viele nachkommende Kriege, nicht nur innerhalb Afrikas

- In China wird nach über 2.000 Jahren Kaisertum die Republik ausgerufen

b.)     Philosophie:

- Friedrich Nietzsche (1844-1900), Sprachphilosoph und Nihilist

- Charles Darwin (1809-1882) entwickelt das Prinzip der Evolution in Über die Entstehung der Arten von 1859

- Karl Marx (1818-1883) gibt zusammen mit Friedrich Engels (1820-1895) 1848 Das Manifest der kommunistischen Partei heraus und 1867-1895 Das Kapital in denen er die kapitalistische Gesellschaft kritisiert, den historischen Materialismus entwirft und einen Geschichtsplan, der uns über den Sozialismus zum Kommunismus führen wird

- Ludwig Andreas Feuerbach (1804-1872) erreicht durch seinen Atheismus Berühmtheit

- Sigmund Freud (1856-1939) entwickelt mit Carl Gustav Jung (Archetypenpsychologie) und Alfred Adler (Individualpsychologie) die moderne Psychologie, bzw. die Psychoanalyse, in der mit Hilfe von Traumdeutung verdrängte Kindheitserlebnisse hervorgeholt werden sollen, er entdeckt das Unbewusste, und teilt den Mensch in Es (sprich ees) und Über-Ich und die Schaltzentrale Ich

c.)  Kunst:

- Impressionismus: Edouard Monet (1832 - 1883), Edgar Degas (1834 - 1917), Alfred Sisley (1839 - 1899), Claude Monet (1840 - 1926), Pierre-August Renoir (1841 - 1919), darauf aufbauend Vincent Willem van Gough (1853 - 1890), Henri Marie Raymond de Toulouse-Lautrec (1864 - 1901), Paul Cézanne (1839 - 1906) und James Abbot McNeil Whistler (1834 - 1903)

- Bruderschaft der Präraphaeliten: Dante Gabriel Rossetti (1828 - 1882), William Holman Hunt (1827 - 1910), Edward Coley Burne-Jones (1833 - 1898), John Everett Millais (1829 - 1882), William Morris (1834 - 1896)

- Symbolismus: Edvard Munch (1863 - 1944), Arnold Böcklin (1827 - 1901), Fernand Khnopff (1858 - 1921)

- Jugendstil: Alfons Mucha (Alfons Maria) (1860 - 1939), Franz von Stuck (1863 - 1928), Gustav Klimt (1862 - 1918), Egon Schiele (1890 - 1918), Charles Rennie Mackintosh (1868 - 1928); dem Jugendstil verwandt die decadents um Aubrey Vincent Beardsley (1872 - 1898)

d.)
     Literatur:

- Der Realismus beginnt. Fußend auf den Erkenntnissen von Darwin, Marx und Feuerbach und dem philosophischen Materialismus steht die Wirklichkeit im Fordergrund und das Abbilden derselben. Gegen das Errichten einer wirklichkeitsfernen Welt der Romantiker, aber auch gegen traditionsreich-ständische der Klassik versucht der Realismus, die Welt zu zeigen, wie sie wirklich ist. Die Prosa ist vorherrschend, weil man nicht nur über das gemeine Volk, sondern auch für das gemeinen Volk Literatur schaffen möchte.

- Die Franzosen (Balzac) und Russen (Dostojewski und Tolstoj) entwerfen die Gattung des kritischen Realismus, der massiv dazu da ist Gesellschaftskritik zu üben.

- In Deutschland entsteht der Poetische Realismus. Was wie ein Widerspruch klingt, fußt darauf, dass durch die Kleinstaaten des Deutschen Bundes die Industrialisierung sehr spät Einzug erhielt und mit der Weimarer Klassik große Vorbilder vielfältig gearbeitet haben, so dass man ihn auch gemäßigten Realismus nennen könnte, der mehr Akzente auf die Bearbeitung, als auf den Inhalt setzte. Als Beispiele sind zu nennen

-  Theodor Storms (1817-1888) Novelle Der Schimmelreiter

- Gottfried Kellers (1819-1890) Novelle Kleider machen Leute

-  Theodor Fontanes (1819-1898) Roman Effi Briest

- Friedrich Hebbels (1813-1863) Drama Maria Magdalena

- Georg Büchners (1813-1837) Dantons Tod und Woyzeck, wobei Büchners Werk Ausnahmecharakter hat, da er Realist, Naturalist und bereits abstrakt ist

- Der schon angesprochene Naturalismus (1880-1900) ist dem Realismus verwandt, geht aber weniger auf Ständeverhältnisse und Probleme der Verstädterung ein, betrachtet sich aber als radikaler. Ziel war es im Sinne der Naturwissenschaften Ziel "zu einer wahren mathematischen Durchdringung der ganzen Handlungsweise eines Menschen zu gelangen und Gestalten vor unserm Auge aufwachsen zu lassen, die logisch sind, wie die Natur." (Wilhelm Bölsche). Emile Zola und Hendrik Ibsen sind hier international zu benennen. Der berühmteste deutsche Vertreter ist

- Gerhard Hauptmann (1862-1946) mit seinen Dramen Die Weber (1892) und Die Ratten (1911) und seiner Novellistischen Studie Bahnwärter Thiel (1888)

- Auch der Expressionismus (1905-1925) sei der imperialistischen Epoche zugeordnet. Die Expressionisten sahen das Unheil des ersten Weltkrieges auf sich zukommen, das Chaos in der Welt und die Amoralität der Menschen und wollten die Kunst wieder ihrer alten Aufgabe der ästhetischen und ethischen Bildung des Menschen zukommen. Von einer einheitlichen Epoche ist eigentlich nicht zu reden, da weder Gattung, noch Genre oder Stil, oder irgendetwas einheitlich war – es war eben alles sehr subjektiv, dafür aber ausdrucksstark. Neue grammatische Wendungen, Neologismen (Wortneuschöpfungen) und überhaupt sehr freier Umgang mit Textualität sind bezeichnend. Gottfried Benn, Walter Benjamin und Christian Morgenstern sind für die Poesie zu nennen; Alfred Döblin und Franz Kafka für die Epik und viele, heute wenig rezipierte Dramatiker. Das Drama erfreut sich großer Beliebtheit und für die wirklichen Innovatoren der Bühne wird hier der Weg geebnet.

- International müssen Oscar Wilde, Mark Twain, Charles Dickens und Victor Hugo (u.a.) noch erwähnt werden

- Der Rationalismus beendet die Ära der Gothic Novel und leitet das Zeitalter der wissenschaftlichen Romanzen solcher Schriftsteller wie Jules Verne (1828 - 1905) und Herbert George Wells (1866 - 1946) ein. Sir Arthur Conan Doyles (1859 - 1930) Erzählungen und Romane um Sherlock Holmes erscheinen; der triumphale Siegeszug der Detektivgeschichte beginnt . Mit Dracula (1897) legt der Ire Bram (eigentlich Abraham) Stoker (1847 - 1912) noch einmal einen späten Höhepunkt der Schauerromanze vor, mit The Hound of the Baskervilles (1905) veröffentlicht der Schotte Doyle deren letzten bedeutsamen Exponenten.

- Als "Gegenbewegung" zum Rationalismus des viktorianischen Zeitalters erwächst der Spiritualismus zur Blüte, in dessen Fahrwasser das "Goldene Zeitalter" der Geistergeschichte anbricht. Die bedeutendsten Vertreter sind die geistlich geprägten Autoren Joseph Sheridan Le Fanu (1814 - 1873), Montague Rhodes James (1862 - 1936), Edward Frederic Benson (1867 - 1940) und Henry James (1843 - 1916).

- Andere wichtige Autoren der Epoche: Alexandre Dumas fils (1824 - 1895), Robert Louis Stevenson (1850 - 1894) und Herman Melville (1819 - 1891; Moby Dick, 1851)

e.)  Musik:

-
Franz Liszt (1811-1886) entwickelte und perfektionierte die bis heute üblichste Klavierspieltechnik

- Richard Wagner (1803-1883), erhob die Oper zu einem musikalischen Drama

- Giuseppe Verdi (1813-1901), revolutionierte die Oper ähnlich aber anders

-  Jacques Offenbach (1819-1880), gilt als Erfinder der Operette

- Johann Strauß jr.’s (1825-1899) Walzer und Operetten prägten das neue Wien

- Johannes Brahms (1833-1897) bedeutender Kammermusiker und Symphoniker

- Pjotr Iljitsch Tschajkowski (1840-1893) prägt das Ballett bis heute, Opern

- Gustav Mahler (1860-1911) führt das symphonische Werk Wagners weiter

f.)      Erfindungen/Entdeckungen:

- Alexander Graham Bell bringt 1876 erstmals in Boston ein Telefon zur praktischen Anwendung

- 1869 sind die Ost- und Westküste der USA durch eine Eisenbahnlinie verbunden

- Der Telegraph macht ab 1866 durch ein Kabel transatlantische Kommunikation möglich

- 1840 werden in England und später überall (Deutschland: 1849) Briefmarken eingeführt

-  Thomas Alva Edison entwickelt 1879 die elektrische Glühlampe

- 1886 erhält Carl Benz das Patent für einen dreirädrigen Motorwagen, doch viele andere Erfinder seiner Zeit erbauten ebenfalls, mehr oder minder erfolgreich, Automobile

- Die ersten modernen olympischen Spiele werden am 06.04.1896 in Athen eröffnet

- Die Gebrüder Wright lassen den ersten Doppeldecker fliegen, bereits 1909 wird vom Franzosen Blériot der Ärmelkanal überflogen

- Doch der Fortschritt fordert auch seinen Tribut, wie z.B. den Untergang der Titanik am 14.04.1912

- 1911 erreicht der Norweger Roald Amundsen als erster Mensch den Südpol

- Alphonse Bertillon (1853 - 1914) begründet mit der Entwicklung der Anthopometrie die moderne Kriminalistik



Daniel


gedruckt am Heute, 01:11
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