Chroniken » Chroniken VI. - Die Zeit der Toten: Berichte und Erlebnisse vom Hof der Nacht im Jahre 2009
2009.10.16 - Der Hausvampir: Über die Domestizierung des Vampires
16.10.2009 - 16:40

Der Mensch, so hat es den Anschein, verfolgt schon seit einigen Jahrtausenden dem bereits in der Bibel erwähnten Imperativ, sich die Erde Untertan zu machen. Wie weit er dabei geht besteht in direkter Abhängigkeit von Bedarf und Dringlichkeit, sowie dem Nutzen dieser "Untertanmachung", im folgenden lediglich als Domestizierung tituliert. Es ist für den Menschen eine einfache Übung, jene zu unterdrücken oder domestizieren, die sichtlich schwächer sind als er, auch andere Menschen. Hier geht es vom bebauten Ackergrund im Neolithikum, als der findige Zweibeiner sesshaft wurde und sein Haar verlor, über die Sklaven in der Antike (bis zu den Sklaven der Gegenwart, auch Kinderarbeiter genannt, eine immer populäre Technik der Lohnkostensenkung), bis hin zu den bekannten Holocausts unter Stalin und Hitler, Diktaturen unter Mao oder Polpot.

Doch der Akt der Domestizierung macht nicht vor dem vermeintlich Schwächeren halt, sondern greift auch auf vermeintlich Stärkere, welche unter der Macht der Menge zumindest in Gefangenschaft gezwungen werden, wenn nicht gleich ausgerottet. Als Beispiel wäre hier nur einmal der Tiger auf zu führen. Profitgier spielt dabei natürlich auch keine unerhebliche Rolle. Sei es ein Exponat im Zoo, oder die mystifizierung gewisser Körperteile, vom Pelz, bis zu den Zähnen oder Klauen.

Ein in europäischen Gefilden eine Zeit lang häufig an zu treffendes Raubtier war der Wolf, Canis Lupus. Heutige Erkenntnisse belegen, dass das gemein als "Haushund" bekannte Tier vom Wolf abstammt, auch wenn der Prozess der Domestizierung des Wolfes an sich im Schatten liegt. Dennoch, das einstige Raubtier wurde gefügig gemacht, unterworfen, das Tier herausgezüchtet und so hatte man einen neuen Untertan. Den Haushund. Gelegentliche Ausbrecher des Raubtieres werden schwer geahndet, der Hund üblicherweise umgebracht.

Was hat das für eine Relevanz zum Titel dieses Essays, der Domestizierung des Vampires zum sog. Hausvampir (nicht zu verwechseln mit dem Vampir als Angehörigem eines Hauses)? Auch hier herrscht das Gesetz der Masse. Der gemeine Mensch ist zahlenmäßig dermaßen dem Vampir überlegen, dass dieser sich schon von Natur aus im Verborgenen hält, die Evolution hat ihm dazu erhebliche Vorteile, Möglichkeiten der Verschleierung geboten, welche nur von Menschen mit evolutionären Vorteilen, den sogenannten Geprägten durchbrochen werden können.

Der Vampir an und für sich ist ein Raubtier, ein Jäger. Leicht zu erkennen an den zwei nach vorn gerichteten Augen zur räumlichen Sicht (entgegengesetzt der seitlichen Augen von Fluchttieren, wie Pferden) und den Reißzähnen. Unter der Oberfläche befinden sich natürlich weitere Fähigkeiten der Jagd oder der Tarnung, Mittel zur Verführung der Nahrung, oder der außer Gefecht setzung der Beute.

Der Geprägte jedoch bleibt seiner Natur treu, er weiß um seinen Wert für den Vampir, denn nur durch ihn, zumindest nach heutigem Erkenntnisstand, kann sich der Vampir fortpflanzen. Dies geschieht wie eine Infizierung durch Krankheit, und nicht durch einen bei Säugetieren wie dem Menschen üblichen Geschlechtsakt. Dies gibt dem Geprägten einen gewissen Vorteil gegenüber dem Vampir, und so beginnt der Vorgang der Domestizierung.

Kürzliche Langzeitbeobachtungen ergaben, dass sich eine Großzahl der Vampire nur zu gern dem Willen der Geprägten fügen, auch wenn sie es als ihren eigenen Willen, ihre eigene Freiheit tarnen, und ihre Unterwürfigkeit niemals offen zugeben würden. Ist doch der Vampir schon immer am meisten ein Meister der Tarnung gewesen. Ein Faktor, der die Domestizierung überdies augenscheinlich begünstigt. Der Vampir am Hof der Nacht ist seit langem kein wahres Raubtier mehr, gebrechlich und schmal, Abhängig von der Gnade der Geprägten existiert er in der Dunkelheit, wahrlich nur noch ein Schatten seines einst großartigen Selbst.

Blickt man einmal in andere Kulturen, zum beispiel die östlichen Vampirstämme der Mongolei, so würde man dort niemals ein beinahe so friedliches Zusammensein erleben wie im zentralen Europa. Die Östlichen Stämme verbleiben wilder, ungezähmter, mit Wurzeln weit tiefer in der Mystik, als in der sogenannten Zivilisation. Es ließe sich darüber streiten, ob die östlichen Stämme, oder auch südliche Vampirvölker, wenn man so will, nicht sogar weitaus mächtiger verblieben sind als die Zentraleuropäische Masse. Immerhin sagte bereits Friedrich Nietzsche "Zivilisation ist die erzwungene Tierzähmung des Menschen", de facto übertragbar auf den Vampir.

Welchen Faktor der Ordo Arkanum in dieser Domestizierung gespielt hat, bleibt im Reiche der Spekulation. Experten verfolgen derzeit zwei dominante Theorien. Die eine besagt, der Ordo war so etwas wie eine Führungsleine zwischen Geprägten und Vampiren, die den Geprägten die Domestizierung erleichtern sollte, die andere Theorie führt in die entgegengesetzte Richtung, indem der Ordo der letzte Puffer zwischen Freiheit und kompletter Domestikation.

Wie dem auch sei, der Vampir scheint seinen Willen zur Freiheit unwiederbringlich aufgegeben zu haben.

Der einzig interessante Faktor an diesem Prozess ist jedoch folgender: Während der Haushund vom Wolf abstammt, stammt der Vampir vom Menschen ab.

Daher wage ich zu behaupten, dass der Vampir seine Freiheit wieder erlangen wird, und das Wild zum Zahm des Menschen ist, und das letzte Wort noch lange nicht gesprochen wurde.

(Ein Essay zur Verbreitung am Hof der Nacht von S. Hyxpa, Anthropologus Nocturnus, Universitae Nocturnae)


S. Hyxpa


gedruckt am Heute, 08:13
http://www.theater-der-vampire.de/include.php?path=content/content.php&contentid=1008